Rede von Thomas Meyer-Falk
[english below]
Jeden Monat versuchen sich in Berliner Gefängnissen Inhaftierte das Leben zu nehmen, auch hier in der JVA-Moabit.
Die Lebensbedingungen hinter diesen dicken hohen Mauern sind unerträglich- für alle! Aber es gibt Menschen die daran vollständig zerbrechen. Vor fünf Jahren starb hier in Moabit, in seiner brennenden Zelle Ferhat Mayouf.
An seinen Tod, an den Tod all der anderen nach und vor ihm im Knast gestorbenen Menschen wird hier und heute erinnert.
Wenn ich selbst an das Sterben in den Gefängniszellen denke, erinnere ich mich an Steve. Er nahm sich im Frühjahr 2023 im südbadischen Freiburg das Leben. Wir kannten uns schon viele, viele Jahre aus der gemeinsam verbrachten Haftzeit.
In einer Frühlingsnacht hängte er sich mitten in der Nacht an den Gitterstäben seines Zellenfensters auf.
Freiburgs Gefängnisleitung rühmt sich eines ausgefeilten „Suizidpräventionsprogramms“. Im Fall von Steve war es aber eine Knastpsychologin die ihm wenige Jahre zuvor ganz trocken sagte, wenn ihm hier irgendwas mal nicht mehr passe, dann könne er sich, ich zitiere die Psychologin, „immer noch weghängen“. Sie entschuldigte sich danach für den Satz. Als dann Gefängnisjuristen mit dem Fall befasst wurden, rechtfertigten sie das Vorgehen der Psychologin und meinten, es habe es sich um eine gezielte therapeutische Maßnahme gehandelt, nämlich eine sogenannte „paradoxe Intervention“.
Ich erzähle das so detailliert, um auf den Zynismus hinzuweisen, der im Vollzugsalltag herrscht. So wie nun vor wenigen Wochen die JVA Moabit angeblich ausgezeichnet wurde.
Die Senatsverwaltung posaunt in die Welt hinaus, dass ein „Suizidpräventionspreis an die JVA Moabit für ihre herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Suizidprävention verliehen“ worden sei. Wofür genau: für „das herausragende Engagement und die innovativen Ideen der JVA Moabit für die Suizidprävention in der Untersuchungshaft.“
Wer dann alleine in der engen Zelle sitzt, spürt davon nichts. Wer alleine in der engen Zelle sitzt, verloren, in der Regel von der Außenwelt vergessen, der sieht im Sterben oftmals nur noch den einzigen Ausweg.
Es kann nicht um „Suizidprävention“ gehen, sondern Ziel ist die Abschaffung des Knastsystems.
Ferhat Mayouf wird das nicht mehr ins Leben zurück bringen. Aber das jährliche Gedenken an ihn und all die Toten, wird hoffentlich immer mehr Menschen dazu bringen, sich für eine Welt ohne Gefängnisse einzusetzen.
(Seite 1): Zusammenfassung (de/en)
(Seite 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Seite 3): AZADÎ (de/en)
(Seite 4): Nanuk (de/en)
(Seite 5): Cleo (en/de)
(Seite 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Seite 7): Kay Schedel (de/en)
(Seite 8): Andreas Krebs (de/en)
(Seite 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)
Speech from Thomas Meyer-Falk
Every month, inmates in Berlin prisons attempt to take their own lives, including here at Moabit Prison.
The living conditions behind these thick, high walls are unbearable – for everyone! But there are people who are completely broken by them. Five years ago, Ferhat Mayouf died here in Moabit, in his burning cell.
His death, and the deaths of all the others who died in prison before and after him, are remembered here today.
When I think of dying in prison cells, I remember Steve. He took his own life in the spring of 2023 in Freiburg, southern Baden. We had known each other for many, many years from our time together in prison.
One spring night, he hanged himself from the bars of his cell window in the middle of the night.
Freiburg’s prison management boasts a sophisticated ‘suicide prevention programme’. In Steve’s case, however, it was a prison psychologist who told him bluntly a few years earlier that if he ever felt uncomfortable here, he could, and I quote the psychologist, ‘always hang himself’. She apologised for the remark afterwards. When prison lawyers were consulted on the case, they justified the psychologist’s actions, saying that it was a deliberate therapeutic measure, a so-called ‘paradoxical intervention’.
I am recounting this in such detail to highlight the cynicism that prevails in everyday prison life. Just as a few weeks ago, Moabit Prison was allegedly awarded a prize.
The Senate Administration is proclaiming to the world that a ‘suicide prevention award has been presented to Moabit Prison for its outstanding work in the field of suicide prevention.’ Specifically, for ‘Moabit Prison’s outstanding commitment and innovative ideas for suicide prevention in pre-trial detention.’
Those who sit alone in their cramped cells feel nothing of this. Those who sit alone in their cramped cells, lost, usually forgotten by the outside world, often see death as the only way out.
It cannot be about ‘suicide prevention’; the goal must be the abolition of the prison system.
This will not bring Ferhat Mayouf back to life. But the annual commemoration of him and all those who have died will hopefully inspire more and more people to work towards a world without prisons.
(Page 1): Summary (de/en)
(Page 2): Benjamin Düsberg (de/en)
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(Page 5): Cleo (en/de)
(Page 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
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(Page 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)