Redebeitrag von Nanuk
[english below]
Seit nun mehr als 250 Tagen befinde ich mich in der JVA Moabit und nach neun Monaten Untersuchungshaft ist ein Prozessbeginn für mich noch nicht absehbar.
Der Vorwurf ist aktuell gefährliche Körperverletzung gegen militante Neonazis, sowie die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Zusammen mit sechs weiteren angeklagten Antifaschist:innen soll öffentlichkeitswirksam ein weiterer Anitfa-Ost-Prozess in Dresden geführt werden.
Im Knast bin ich von Anfang an unter verschärften Sicherheitsauflagen, wodurch es in den letzten Monaten für mich unmöglich war, an Sport– oder Gruppenaktivitäten teilzunehmen. Auch der Zugang zu Ärzten war dadurch erschwert. Inzwischen wurden Teile der Auflagen gelockert, was hauptsächlich die Arbeit der Schließer erleichtert, aber so kann ich inzwischen auch an Sport und Freizeitgruppen teilnehmen. Zwar darf ich mit anderen Gefangenen zum Hofgang, aber der tägliche Stationsaufschluss, wo alle Häftlinge duschen, zum Kühlschrank gehen oder einfach gemeinsam die anderthalb Stunden Freizeit verbringen, wird mir weiterhin verwehrt. Die Begründung ist, dass ich ein Extremist sei, unabhängig davon, dass bei Untersuchungshäftlingen eine Unschuldsvermutung gilt. Verurteilte Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates, die zu hohen mehrjährigen Haftstrafen, auch wegen Gewalt während der Haftzeit, verurteilt wurden, sind nur zum Teil von solchen Sicherheitsverfügungen betroffen. Sie dürfen arbeiten und haben Stationsaufschluss.
Auch der Umgang mit meiner Post ist immer wieder ein Ärgernis. So verschwindet Post und wird über Monate in der JVA gestapelt, wird erst nach Wochen von der Staatsanwaltschaft kontrolliert oder wird mir einfach nicht ausgehändigt.
In den Monaten meiner Haft habe ich einiges an Willkür und Diskriminierung durch einzelne Schließer sehen müssen. So beschissen die gesamte Situation im Knast auch ist, bin ich als gefangener weißer cis-Mann mit einer deutschen Biographie sehr privilegiert in der JVA.
Gefangene ohne deutschen Pass, ohne ausreichende Deutschkenntnisse, in psychischen Krisen als auch Menschen mit traumatischen Erfahrungen oder Suchterkrankung machen über die Hälfte aller Insassen in der JVA aus. Viele der Gefangenen haben Narben an ihren Armen von Selbstverletzungen, die stummen Zeugen ihrer traumatisierten Biographien sind oft zu sehen.
Diese sozialen Gefangenen sind häufig die Betroffenen von Übergriffen der Schließer, das reicht vom Beschimpfen, von dem Ignorieren und Verwehren ihrer Rechte bis hin zu massiver körperlicher Gewalt. Knast ist für alle Gefangenen eine psychische Ausnahmesituation, abgeschnitten von allen vertauten sozialen Bindungen wie Familie und Freund:innen, über Stunden alleine in einer 8m2 Zelle mit Unsicherheiten, Angst und Wut.
Für einige der Gefangenen ist Knast so belastend, dass sie stundenlang gegen die Zellentüren schlagen, immer wieder schreien oder sich selbst verletzen. Sie gehören nicht in die JVA ohne psychiatrische Hilfe, dennoch werden sie einfach zusammen mit allen anderen Gefangenen weggesperrt. Dies führt nur dazu , dass sie erneut traumatisiert werden und Andere psychisch mitbelastet werden. Auch der Mangel an Personal von Sozialarbeitern, Psychologen und Schließern verschärft diese Situation im Knast. Im Umgang mit Gefangenen in psychischen Krisen scheinen die Schließer oft überfordert.
Während meiner Haftzeit gab es mehrere Fälle von versuchter oder angedrohter Selbsttötung. Auch brannte eine Zelle und (es kam) traurigerweise auch zu Selbstmord.
Aus Verzweiflung hielt sich ein Gefangener ein Messer an den Hals, als wir zusammen auf dem Hof waren. Er drohte mit Selbstmord gegenüber den Schließern, bevor sie ihn zu zehnt überwältigten.
In der Nacht zum 10. Juni 2025 wurden wir durch das laute Rufen eines Gefangenen an seinem Zellenfenster geweckt. Er hatte in dem gegenüberliegenden Gebäude eine brennende Zelle entdeckt. Gemeinsam versuchten wir durch schreien, gegen die Zellentür hämmern und den Notrufanlagen in den Zellen, die Schließer zu alamieren, aber ohne Reaktion.
Ein Gefangener telefonierte währenddessen mit seiner Familie außerhalb des Knastes, die zeitgleich die Feuerwehr unterrichtete, da es von den Schließern über 15 Minuten keine Reaktion auf unsere Hilferufe gab. Nach zwanzig Minuten erschienen die Feuerwehr und Rettungswagen. Inzwischen schlugen die Flammen aus dem durch die Hitze zerbrochenen Fenster der Zelle. Auch der zweite Raum der Begegnungszelle hatte Feuer gefangen. Soweit ich es einschätzen kann, wurden die beiden Gefangenen von den Schließern schnell aus ihrer Doppelzelle geholt. Aus Vorsicht wurden noch während des Brandes weitere Gefangenen aus den umliegenden Zellen evakuiert. Es soll keine Schwerverletzten gegeben haben und die Schließer haben glücklicherweise schnell reagiert. Solche Vorfälle geschehen in Knästen immer wieder, nicht nur in autoritären Staaten wie Russland, Türkei oder Ungarn. Dort sind die Situationen von Willkür und Gewalt, denen Gefangene ausgesetzt sind, um vieles schlimmer. So ist die antifaschistische Person Maja im Juni in Hungerstreik getreten, um bessere Haftbedingungen und eine Überstellung nach Deutschland zu erkämpfen. Auch hier in Berlin verweigerte Andreas Krebs in der JAV Tegel über 30 Tage die Nahrungsaufnahme, um auf seine Haftbedingungen aufmerksam zu machen.
Wenn Menschen eingesperrt werden, weil sie keinen deutschen Pass haben, aus der Not heraus kleine Diebstähle begehen oder einfach kein Geld für Bahntickets haben, dafür aber Milliardenbetrüger wie in „CumEx“ und „WireCard“-Verfahren Bewährungsstrafen und Haftverschonung bekommen. Dann bestraft dieses Justizsystem Armut, und wir als Gesellschaft müssen eine breite, solidarische Antwort finden, um die sozialen Probleme zu lösen, statt Menschen zu kriminalisieren, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Und auch hier im Knast ist ein Ort für Solidarität untereinander, diese ist viel stärker und verbreiteter als ich gedacht hätte bevor ich es selbst erlebte. Dies hat mir hier im Knast sehr viel Kraft und Mut gemacht.
Für eine befreite Gesellschaft auch ohne Knäste.
Take Care, Nanuk
(Seite 1): Zusammenfassung (de/en)
(Seite 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Seite 3): AZADÎ (de/en)
(Seite 4): Nanuk (de/en)
(Seite 5): Cleo (en/de)
(Seite 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Seite 7): Kay Schedel (de/en)
(Seite 8): Andreas Krebs (de/en)
(Seite 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)
Speech from Nanuk
I have been in Moabit Prison for more than 250 days now, and after nine months in pre-trial detention, there is still no end in sight for my trial.
The charges against me are currently grievous bodily harm against militant neo-Nazis and supporting a criminal organisation. Together with six other accused anti-fascists, another high-profile Antifa East trial is to be held in Dresden.
From the beginning, I have been subject to stricter security measures in prison, which has made it impossible for me to participate in sports or group activities in recent months. This has also made it difficult for me to access medical care. Some of the restrictions have now been eased, which mainly makes the prison guards‘ work easier, but it also means that I can now participate in sports and leisure groups. Although I am allowed to go out into the yard with other prisoners, I am still denied access to the daily ward opening, where all prisoners shower, go to the refrigerator or simply spend an hour and a half of free time together. The reason given is that I am an extremist, regardless of the fact that remand prisoners are presumed innocent. Convicted members of the so-called Islamic State, who have been sentenced to long prison terms, including for violence during their imprisonment, are only partially affected by such security measures. They are allowed to work and have access to the ward.
Dealing with my mail is also a constant annoyance. Mail disappears and is stacked up in the prison for months, is only checked by the public prosecutor’s office after weeks, or is simply not handed over to me.
During my months in prison, I have witnessed a great deal of arbitrariness and discrimination by individual prison guards. As shitty as the whole situation in prison is, as a white cis man with a German background, I am very privileged in prison.
Prisoners without a German passport, without sufficient German language skills, in mental health crises, as well as people with traumatic experiences or addiction disorders make up over half of all inmates in the prison. Many of the prisoners have scars on their arms from self-harm, silent witnesses to their traumatised biographies that are often visible.
These social prisoners are often victims of abuse by prison guards, ranging from verbal abuse, ignoring and denying their rights to severe physical violence. Prison is an exceptional psychological situation for all prisoners, cut off from all familiar social ties such as family and friends, spending hours alone in an 8m2 cell with uncertainty, fear and anger.
For some prisoners, prison is so stressful that they bang on their cell doors for hours, scream repeatedly or harm themselves. They do not belong in prison without psychiatric help, yet they are simply locked up with all the other prisoners. This only leads to them being traumatised again and others being psychologically affected. The lack of social workers, psychologists and prison guards also exacerbates this situation in prison. Prison guards often seem overwhelmed when dealing with prisoners in mental crises.
During my time in prison, there were several cases of attempted or threatened suicide. A cell also burned down and, sadly, there was also a suicide.
Out of desperation, a prisoner held a knife to his throat when we were together in the courtyard. He threatened to commit suicide in front of the guards before ten of them overpowered him.
On the night of 10 June 2025, we were awakened by the loud cries of a prisoner at his cell window. He had discovered a burning cell in the building opposite. Together, we tried to alert the guards by shouting, banging on the cell door and using the emergency call systems in the cells, but there was no response.
Meanwhile, one prisoner called his family outside the prison, who immediately notified the fire department, as the guards had not responded to our cries for help for over 15 minutes. After twenty minutes, the fire department and ambulances arrived. By then, flames were shooting out of the cell window, which had shattered due to the heat. The second room of the visiting cell had also caught fire. As far as I can tell, the two prisoners were quickly removed from their double cell by the guards. As a precaution, other prisoners were evacuated from the surrounding cells while the fire was still burning. Fortunately, there were no serious injuries and the guards reacted quickly. Such incidents happen time and again in prisons, not only in authoritarian states such as Russia, Turkey or Hungary. There, the situations of arbitrariness and violence to which prisoners are exposed are much worse. For example, the anti-fascist activist Maja went on hunger strike in June to fight for better prison conditions and a transfer to Germany. Here in Berlin, Andreas Krebs refused to eat for over 30 days in the JAV Tegel prison to draw attention to his prison conditions.
When people are imprisoned because they do not have a German passport, commit petty theft out of necessity, or simply do not have money for train tickets, whereas billion-euro fraudsters in cases such as CumEx and WireCard receive suspended sentences and are spared imprisonment. Then this justice system punishes poverty, and we as a society must find a broad, united response to solve social problems instead of criminalising people who are pushed to the margins of society. And here in prison, too, there is a place for solidarity among each other, which is much stronger and more widespread than I would have thought before I experienced it myself. This has given me a lot of strength and courage here in prison.
For a liberated society without prisons.
Take care, Nanuk
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(Page 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Page 3): AZADÎ (de/en)
(Page 4): Nanuk (de/en)
(Page 5): Cleo (en/de)
(Page 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Page 7): Kay Schedel (de/en)
(Page 8): Andreas Krebs (de/en)
(Page 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)