Redebeitrag von Benjamin Düsberg
[english below]
Die Stuttgarter Zeitung berichtete vorgestern folgendes:
Ein 24jähriger Inhaftierter stehe im Verdacht steht, in seiner Zelle eine Zeitung angezündet zu haben.
Nachdem gegen 19.50 Uhr am Sonnabend der Brandalarm ausgelöst worden sei, sollen Justizbeamte eine starke Rauchentwicklung aus der Zelle eines Gefangenen wahrgenommen haben. Sie konnten den 24jährigen dem Bericht zufolge aus der brennenden Zelle retten und ins Freie bringen. Er sei noch an Ort und Stelle notfallmedizinisch versorgt und anschließend mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht worden.
Laut Angaben der Feuerwehr handele es sich bei den sechs übrigen Verletzten um Justizvollzugsbeamte, die sich beim Einsatz leichte Verletzungen zugezogen haben sollen, vermutlich durch Rauchgas. Sie wurden ebenfalls vom Rettungsdienst untersucht und behandelt.
Gegen 20 Uhr seien zahlreiche Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst alarmiert worden. Der Brand in der Gefangenenzelle konnte demnach rasch gelöscht werden. Im weiteren Einsatzverlauf habe die Feuerwehr weitere Stockwerke auf einen möglichen Raucheintritt kontrolliert.
So hätte die Meldung heute genau vor 5 Jahren aussehen können, wenn es richtig gelaufen wäre. Warum nicht? Weil die Beamten vor seiner Tür entschieden, nicht zu öffnen. Sein Tod war ein Justizverbrechen.
Ferhat Mayouf war zu sehr Mensch, zu lebendig, um sich mit den unmenschlichen Haftbedingungen von 21 oder mehr Stunden Einschluss in der Moabiter Untersuchungshaft einfach abfinden zu können – er verzweifelte an der Unfreiheit. Ich habe Ferhat Mayouf als einen lebensfrohen Menschen mit einem unbändigen Freiheitswillen kennengelernt. Er wollte nicht sterben, er wollte leben, doch er stieß an die engen Moabiter Mauern und Gitter und geriet an ignorante Justizbeamte, denen sein Wohlergehen und sogar sein Überleben egal waren.
Im Haftprüfungstermin am 20. Juli 2020 beantragten wir seine sofortige Freilassung, denn der Termin kam eine Woche zu spät. Die sofortige Freilassung wurde – entgegen den Vorgaben des Landesverfassungsgerichts in Fällen des Überschreitens der Zweiwochenfrist zur Durchführung einer mündlichen Haftprüfung – abgelehnt. Ferhat Mayouf wies in dem Termin darauf hin, schwere Depressionen zu haben, was in dem Protokoll vermerkt wurde.
Diese Eintragung wurde in der JVA Moabit schlicht ignoriert. Ferhat sah keinen Arzt, keine Psychologin mehr. Vier Tage später war er tot.
In der Nacht seines Versterbens, berichtet ein Mitgefangener, schrie er noch mehrfach nach Tabak, wird jedoch von den alarmierten Beamten ignoriert. Verhält sich so ein Mensch, der sterben will?
Ferhat Mayouf ist verzweifelt, legt offenbar kurz danach in seiner Zelle Feuer, um auf seine Not aufmerksam zu machen; es ist kein offen loderndes Feuer, sondern ein Schwelbrand. Trotzdem öffnen die Beamten nicht, sondern entscheiden, die Tür nicht zu öffnen und auf das Eintreffen der Feuerwehr zu warten. Vier Beamte vor seiner Zellentür, von denen keiner ein Herz für das Leben Ferhat Mayoufs besaß. Es vergehen stattdessen wertvolle 27 Minuten, während derer, davon gehen wir aus, Ferhat Mayouf gestorben ist.
Es gibt in der Brandschutzordnung der JVA Moabit klare Anweisungen zum Verhalten im Brandfalle, die das Vorhandensein von Feuer, die ignoriert wurden: Ich zitiere:
• Türen zu Brandbereichen wegen der Gefahr entgegenschlagender Stichflammen möglichst von der Seite öffnen. • Löschmaßnahmen werden unter Beachtung des Selbstschutzes durch das Personal bis zum Eintreffen der Feuerwehr eingeleitet. • selbständige Brandbekämpfung im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten (Feuerlöscher und Wandhydranten).
Die Schutzpflicht der Beamten für die körperliche Unversehrtheit der Gefangenen ist die Kehrseite des vollständigen Autonomieentzugs, denen die Gefangenen unterworfen werden und welcher dazu führt, dass Selbsthilfe nicht mehr möglich ist. Ferhat Mayouf konnte die Tür nicht öffnen – lediglich die Beamten, die mit dem Schlüssel davorstanden. Sie waren daher zum Eingreifen verpflichtet. Und dies wäre auch ohne größere Eigen – oder Fremdgefährdung möglich gewesen. Alles spricht für ein Feuer von niedriger Intensität mit geringer Sauerstoffzufuhr, also für einen sogenannten Schwelbrand – das wissen wir aus den eingeholten Brandgutachten und davon Zeugen die Bilder aus der Zelle, aus denen hervorgeht, dass weder das Mobiliar noch der Körper von Ferhat Mayouf vom Feuer erheblich versehrt wurden, umgekehrt aber eine starke Verrußung zu erkennen ist. Ferhat Mayouf ist nicht verbrannt, sondern erstickt.
Ein klarer Fall für die Staatsanwaltschaft, würden alle denken. Doch es passiert erstmal gar nichts. Die Akte des sog. Todesermittlungsverfahrens wird sofort geschlossen, das ganze als Suizid abgetan. Dabei war schon aus den ersten Stellungnahme der Beamten vor der Tür klar ersichtlich, dass diese bewusst entscheiden hatten, nicht zu öffnen.
Dann geht Kay Schedel an die Öffentlichkeit und berichtet einem Fernsehmagazin, dass er Ferhat Mayouf noch klopfen und schreien hörte, als die Beamten vor seiner Zellentür standen. Wir formulieren eine Strafanzeige, Ermittlungen werden endlich eingeleitet, auch ein anderer Mitgefangener macht eine ähnliche Aussage, welche die Angaben von Kay bestätigt.
Doch diesen klaren Aussagen wird nicht geglaubt. Die Zeugen hätten ja gar nicht unterscheiden können, wer genau da geschrien hätte. Auch sei, so die Staatsanwaltschaft, die Kausalität zwischen dem Nichtöffnen der Tür und dem Versterben von Ferhat nicht nachweisbar. Zudem hätte das Öffnen der Tür die Sicherheit der Anstalt und der Bediensteten bedroht. Das Verfahren wird eingestellt.
Wir legten dagegen Beschwerde ein, denn all diese Argumente sind falsch:
Denn selbst wenn es stimmt – wie die Beamten behaupten – dass von Ferhat nichts mehr zu hören gewesen wäre, als sie vor dessen Zellentür standen, würde daraus nicht folgen, dass Ferhat bereits verstorben war. Bei Rauchgasvergiftungen liegt der Todeseintritt regelmäßig (je nach Kohlenmonoxid-Konzentration) zeitlich deutlich nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit. Es ist also auch in diesem Falle sehr wahrscheinlich, dass Ferhat noch lebte und lediglich bewusstlos war, als die Beamten vor seiner Tür standen und nichts von ihm gehört haben wollen. Auch dann ist also die Ursächlichkeit des Versterbens durch das lange Warten auf die Feuerwehr sehr wahrscheinlich. Es besteht ein entscheidender Unterschied von 5 Minuten zu 27 Minuten.
Und selbst wenn die Ursächlichkeit des Unterlassens am Ende nicht nachweisbar sein sollte: Es wäre juristisch dann jedenfalls als ein versuchtes Tötungsdelikt einzuordnen. Denn sein Tod wurde durch die Beamten billigend in Kauf genommen. Die bloße Tatsache des Nicht -Öffnens, des sich Nicht-Bemühens zeigt doch, dass den Beamten das Leben vorn Ferhat Mayouf gleichgütig war.
Dass die Sicherheit der Anstalt und der Bediensteten ernsthaft bedroht war, ist ebenfalls nicht richtig. Es handelte sich – gutachterlich festgestellt – um einen Schwelbrand.
Außerdem war das Aussageverhalten der Beamten vor Ort widersprüchlich. Einmal sagten sie, sie hätten versucht, die Tür zu öffnen, aber es sei nicht möglich gewesen, weil diese von der Hitze verzogen gewesen sei. Ein anderes Mal behaupteten sie, sie hätten es aus Gründen der Eigensicherung gar nicht erst versucht. Außerdem hieß es, es habe eine entsprechende Anweisung des Schichtführer gegeben, was ebenfalls bedeutet, dass man es gar nicht erst versucht hat. Die Beschuldigten wurden dazu jedoch nicht einmal verantwortlich vernommen – das wäre jedoch das Naheliegendste gewesen!
Doch alle Beschwerden dagegen werden trotz alledem seitens der Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen. Aber wir alle bleiben dran. Ermittlungen können bei neuen Anhaltspunkten jederzeit aufgenommen werden.
Ich freue mich, dass wir uns hier aus diesem traurigen Anlass, dem 5. Todestag von Ferhat Mayouf, erneut versammeln. Dass ihr euch nicht damit abfindet, dass der Tod von Ferhat als Suizid abgetan wird. Dass ihr dran bleibt und weiter macht, in Trauer und in Wut.
Ferhats Tod steht für die stille, undurchdringliche und systematische Gewalt des Knastsystems. Er zeigt exemplarisch auch die Gleichgültigkeit gegenüber eingesperrten Menschen – eine Gleichgültigkeit, welche die allgemeine Austauschbarkeit menschlichen Lebens in der bürgerlichen Gesellschaft nur noch auf die Spitze treibt.
Es lebe Ferhat Mayouf. Auf das sich solche Verbrechen durch deutsche Staatsbeamte nicht wiederholen.
(Seite 1): Zusammenfassung (de/en)
(Seite 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Seite 3): AZADÎ (de/en)
(Seite 4): Nanuk (de/en)
(Seite 5): Cleo (en/de)
(Seite 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Seite 7): Kay Schedel (de/en)
(Seite 8): Andreas Krebs (de/en)
(Seite 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)
Speech from Benjamin Düsberg
The Stuttgarter Zeitung reported the following the day before yesterday:
A 24-year-old prisoner is suspected of having set fire to a newspaper in his cell.
After the fire alarm was triggered at around 7:50 p.m. on Saturday, prison officials reportedly noticed heavy smoke coming from a prisoner’s cell. According to the report, they were able to rescue the 24-year-old from the burning cell and bring him outside. He was given emergency medical treatment on the spot and then taken to a hospital with serious injuries.
According to the fire department, the six other injured were prison officers who suffered minor injuries during the operation, presumably from smoke inhalation. They were also examined and treated by the emergency services.
At around 8 p.m., numerous fire and rescue services were alerted. The fire in the prison cell was quickly extinguished. In the course of the operation, the fire department checked other floors for possible smoke ingress. This is what the report could have looked like exactly five years ago today, if everything had gone right. Why not? Because the prison guards decided not to open his door. His death was a judicial crime.
Ferhat Mayouf was too human, too alive to simply accept the inhumane conditions of detention, which involved being locked up for 21 hours or more in Moabit remand prison – he despaired at his lack of freedom. I got to know Ferhat Mayouf as a cheerful person with an irrepressible desire for freedom. He did not want to die, he wanted to live, but he came up against the narrow walls and bars of Moabit and encountered ignorant judicial officials who did not care about his well-being or even his survival.
At the detention review hearing on 20 July 2020, we requested his immediate release, as the hearing was a week late. Contrary to the requirements of the State Constitutional Court in cases where the two-week deadline for conducting an oral detention review has been exceeded, the immediate release was denied. Ferhat Mayouf pointed out during the hearing that he was suffering from severe depression, which was noted in the protocol.
This entry was simply ignored at Moabit Prison. Ferhat saw no doctor, no psychologist. Four days later, he was dead.
On the night of his death, a fellow prisoner reports, he repeatedly cried out for tobacco, but was ignored by the alarmed officers. Is this how someone who wants to die behaves?
Ferhat Mayouf is desperate and apparently sets fire to his cell shortly afterwards to draw attention to his distress; it is not an open blaze, but a smouldering fire. Nevertheless, the officers do not open the door, deciding instead to wait for the fire brigade to arrive. Four guards stand in front of his cell door, none of whom have any concern for Ferhat Mayouf’s life. Instead, 27 precious minutes pass, during which, we assume, Ferhat Mayouf dies.
The fire safety regulations of the Moabit Prison contain clear instructions on how to behave in the event of a fire, which were ignored: I quote:
- Due to the risk of flashbacks, doors to fire areas should be opened from the side if possible.
- Extinguishing measures are initiated by personnel, taking into account their own safety, until the fire brigade arrives.
- Independent firefighting within the scope of the respective possibilities (fire extinguishers and wall hydrants).
The duty of civil servants to protect the physical integrity of prisoners is the flip side of the complete deprivation of autonomy to which prisoners are subjected, which means that self-help is no longer possible. Ferhat Mayouf could not open the door – only the officers standing in front of it with the key could do so. They were therefore obliged to intervene. And this would have been possible without any major danger to themselves or others. Everything points to a low-intensity fire with little oxygen supply, i.e. a so-called smouldering fire – we know this from the fire reports obtained and from the images from the cell, which show that neither the furniture nor Ferhat Mayouf’s body were significantly damaged by the fire, but that there is heavy soot damage. Ferhat Mayouf did not burn to death, he suffocated.
A clear case for the public prosecutor’s office, everyone would think. But nothing happens at first. The file on the so-called death investigation is closed immediately, the whole thing dismissed as suicide. Yet it was already clear from the first statements made by the officers at the door that they had deliberately decided not to open it.
Then Kay Schedel goes public and tells a television magazine that he heard Ferhat Mayouf knocking and screaming while the officers were standing in front of his cell door. We file a criminal complaint, investigations are finally launched, and another fellow prisoner makes a similar statement confirming Kay’s account.
But these clear statements are not believed. The witnesses could not have distinguished who exactly was shouting. According to the public prosecutor’s office, the causality between the failure to open the door and Ferhat’s death could not be proven. Furthermore, opening the door would have threatened the security of the institution and its staff. The case is dismissed.
We lodged an appeal against this decision, because all these arguments are false:
Even if it is true – as the officers claim – that they could not hear Ferhat when they stood outside his cell door, this does not necessarily mean that Ferhat was already dead. In cases of smoke inhalation, death usually occurs (depending on the concentration of carbon monoxide) well after the victim has lost consciousness. So, in this case, it’s also very likely that Ferhat was still alive and just unconscious when the officers were standing outside his door and didn’t hear anything from him. Even then, it’s very likely that his death was caused by the long wait for the fire brigade. There’s a big difference between 5 minutes and 27 minutes.
And even if the causality of the omission cannot be proven in the end, it would still be classified as attempted murder in legal terms. This is because his death was accepted by the officers. The mere fact that they did not open the door and did not make any effort shows that the officers were indifferent to Ferhat Mayouf’s life.
It is also not true that the safety of the institution and its staff was seriously threatened. According to expert opinion, it was a smouldering fire.
Furthermore, the statements made by the guards at the scene were contradictory. At one point, they said they had tried to open the door but were unable to do so because it had warped in the heat. At another point, they claimed that they had not even tried to open it for their own safety. They also said that they had received instructions from the shift supervisor not to do so, which also means that they did not even try. However, the accused were not even questioned about this – which would have been the most obvious thing to do!
Despite all this, all complaints against this have been rejected by the Attorney General’s Office. But we are all staying on the case. Investigations can be reopened at any time if new evidence comes to light.
I am glad that we are gathered here again on this sad occasion, the fifth anniversary of Ferhat Mayouf’s death. That you are not resigned to Ferhat’s death being dismissed as suicide. That you are staying on the case and continuing, in grief and anger.
Ferhat’s death stands for the silent, impenetrable and systematic violence of the prison system. It also exemplifies the indifference towards imprisoned people – an indifference that only exacerbates the general interchangeability of human life in bourgeois society.
Long live Ferhat Mayouf. May such crimes by German agents of the state never be repeated.
(Page 1): Summary (de/en)
(Page 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Page 3): AZADÎ (de/en)
(Page 4): Nanuk (de/en)
(Page 5): Cleo (en/de)
(Page 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Page 7): Kay Schedel (de/en)
(Page 8): Andreas Krebs (de/en)
(Page 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)