Redebeitrag vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund)
[english below]
Liebe Demonstrierende und Angehörige von Ferhat Mayouf,
wir senden Euch unsere Grüße aus Dortmund. Wir sind der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed. Wir arbeiten für Aufklärung und Gedenken an den am 8. August 2022 von der Dortmunder Polizei getöteten Mouhamed Lamine Dramé.
Wir sprechen den Angehörigen und Freund*innen von Ferhat unser tiefes Beileid und unsere Solidarität aus. Wir sind zutiefst betroffen über seine Tötung heute vor fünf Jahren. Und wir sind fassungslos über die Häufigkeit, mit der in Deutschland und weltweit Menschen durch die Hände der Staatsgewalt ihre Leben verlieren. Denn wir wissen: Dieser Tod war kein Einzelfall.
Im Gegenteil – sie reiht sich ein in so viele Fälle tödlicher Staatsgewalt: Von Oury über Mouhamed, von Christy und Ferhat, von Ibrahima über Sammy, Bilel, Qabel und Lorenz, und vielen vielen anderen.
Allein bei uns in Dortmund sind in unter drei Jahren vier Menschen von Polizist*innen getötet worden:
Mouhamed Dramé im August 2022, nur kurz später ein Mensch durch einen Taser, letzten April der obdachlose Andrzej in der Dortmunder Innenstadt, im März dieses Jahr der 72-jährige Nejib Boubaker.
Einige Dinge verbinden ihre Geschichten: Immer handelte es sich um Menschen, die eine oder oft mehrere Betroffenheiten teilen, oft Rassismus, Obdachlosigkeit, Fluchterfahrung, und immer öfter auch psychische Krankheit.
Immer eskalierte die Polizei, handelte vorschnell, stellte ausweglose Situationen her, bedrohte Menschen, die eigentlich schutzbedürftig waren. Sie priorisierte ihre Eigensicherung, obwohl sie die Situation selbst provoziert hatte, und argumentierte dann mit Notwehr.
Mouhamed saß am 8. August 2022 im Hinterhof der Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt, in der er untergebracht wurde, kurz nachdem er als junger unbegleiteter Mensch aus Senegal nach Deutschland geflohen war.
Seine Familie beschreibt Mouhamed als hilfsbereiten, freundlichen, fußballbegeisterten jungen Menschen, Freund, Sohn, Bruder und BVB-Fan. 2019 begann er seine Reise, erst über den Landweg bis nach Marokko, dann mit einem Boot über das Mittelmeer. Auf der gefährlichen Route erfuhr er verschiedene Schicksalsschläge, die ihn schwer traumatisiert hinterließen.
Die Dortmunder Sozialarbeiter*innen berichten, dass Mouhamed am liebsten für sich war, im Hinterhof saß und Musik hörte. Dort wurde er am 8. August 2022 mit einem gegen seinen Bauch gerichteten Messer in der Hand entdeckt. Als er nicht auf Ansprache reagierte, rief die Jugendhilfeeinrichtung die Polizei. 12 Beamt*innen der Wache Nord kamen, umstellten Mouhamed.
Wenige Minuten später war er tot – getroffen von Pfefferspray, Taser-Pfeilen und fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole. Die Polizei war gerufen worden, um ihn am Suizid zu hindern – und tötete ihn stattdessen selbst.
Der Schmerz der Familie Dramé ist unermesslich. Auch viele Menschen in Dortmund und darüber hinaus sind schwer betroffen von der Gewalt gegen diesen jungen Menschen, der ein Leben inDortmund hätte beginnen können und vielleicht seinen Traum erfüllt hätte, Fußballer zu werden und noch oft seinen geliebten BVB spielen zu sehen.
Ungewöhnlich war, dass die Staatsanwaltschaft einige Monate nach dem katastrophalen Einsatz Anklage gegen immerhin fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Beamt*innen stellte. Wenig überraschte, dass der Prozess über das Jahr 2024 dann aber Mouhameds Familie ignorierte, die nur durch unser Engagement dem Prozess überhaupt als Nebenklage beiwohnen konnte, dass im Verfahren Rassismus, menschenfeindlichen polizeilichen Logiken und Täter-Opfer-Umkehr eine Bühne geboten und am Ende alle fünf Cops freigesprochen wurden. Alle fünf, unter ihnen der Schütze, der nur 0,7 Sekunden nach dem Einsatz von Tasern sechsmal mit einer Maschinenpistole auf Mouhamed schoss, und der Einsatzleiter, der diesen fatalen Einsatz alternativlos plante, arbeiten nun weiter bzw. wieder als Polizist*innen.
Neben der Verarbeitung des Verlusts ihres geliebten Sohnes und Bruders kämpft die Familie Dramé heute auch darum, das Andenken an Mouhamed vor rassistischen Erzählungen vom „Messerangreifer“ und Lügner zu verteidigen. Die polizeiliche Darstellung vom aggressiven Angreifer wurde schnell vom NRW-Innenminister Herbert Reul aufgegriffen, von rechten und konservativen Medien verbreitet und von den Anwälten der fünf angeklagten Cops mit Fragmenten aus Mouhameds Leben unterfüttert.
Narrative wie dieses fügen sich in die Stimmungsmache von Rechten und Rassisten ein und verstellen den Blick auf einen jungen Menschen, der voller Hoffnung und unter großen Opfern nach Europa floh, der für niemanden eine Gefahr darstellte, sondern Hilfe und Gehör brauchte statt Gewalt.
Gerechtigkeit für Mouhamed bedeutet für uns, seine Geschichte und sein Andenken zu bewahren, uns gegen rechte und andere autoritäre Vereinnahmung zu wehren und dafür zu kämpfen, dass eine Geschichte wie seine eines Tages niemandem mehr passieren wird.
Bitte unterstützt unseren Kampf, verbreitet Mouhameds Geschichte, spendet für seine Familie, schickt Solidarität.
Für die Demilitarisierung, die Entwaffnung, die Abschaffung der Polizei.
Für das gute Leben für alle, ohne Grenzen und Gefängnisse, in Freiheit und Solidarität.
Rest in power, Mouhamed!
Rest in power, Ferhat!
(Seite 1): Zusammenfassung (de/en)
(Seite 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Seite 3): AZADÎ (de/en)
(Seite 4): Nanuk (de/en)
(Seite 5): Cleo (en/de)
(Seite 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Seite 7): Kay Schedel (de/en)
(Seite 8): Andreas Krebs (de/en)
(Seite 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)
Speech from Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund)
Dear demonstrators and relatives of Ferhat Mayouf,
We send you our greetings from Dortmund. We are the Justice4Mouhamed solidarity group. We are working to raise awareness and commemorate Mouhamed Lamine Dramé, who was killed by the Dortmund police on 8 August 2022.
We express our deepest condolences and solidarity to Ferhat’s relatives and friends. We are deeply saddened by his killing five years ago today. And we are stunned by the frequency with which people in Germany and around the world lose their lives at the hands of state authorities. Because we know that this death was not an isolated case.
On the contrary, it is one of so many cases of lethal state violence: from Oury to Mouhamed, from Christy and Ferhat, from Ibrahima to Sammy, Bilel, Qabel and Lorenz, and many, many others.
In Dortmund alone, four people have been killed by police officers in less than three years:
Mouhamed Dramé in August 2022, shortly afterwards a person killed by a Taser, last April the homeless Andrzej in Dortmund city centre, and in March this year 72-year-old Nejib Boubaker.
There are some things that connect their stories: they were all people who shared one or often several vulnerabilities, often racism, homelessness, refugee experience, and increasingly mental illness.
In each case, the police escalated the situation, acted rashly, created hopeless situations, and threatened people who were actually in need of protection. They prioritised their own safety, even though they had provoked the situation themselves, and then argued that it was self-defence.
On 8 August 2022, Mouhamed was sitting in the backyard of the youth welfare facility in Dortmund’s Nordstadt district, where he had been housed shortly after fleeing to Germany as a young unaccompanied person from Senegal.
His family describes Mouhamed as a helpful, friendly, football-loving young man, friend, son, brother and BVB fan. In 2019, he began his journey, first by land to Morocco, then by boat across the Mediterranean. On the dangerous route, he experienced various misfortunes that left him severely traumatised.
Social workers in Dortmund report that Mouhamed preferred to be alone, sitting in the backyard listening to music. There, on 8 August 2022, he was discovered with a knife pointed at his stomach. When he did not respond to their calls, the social workers called the police. Twelve officers from the North Police Station arrived and surrounded Mouhamed.
A few minutes later, he was dead – hit by pepper spray, Taser darts and five shots from a submachine gun. The police had been called to prevent him from committing suicide – and instead killed him themselves.
The pain of the Dramé family is immeasurable. Many people in Dortmund and beyond are also deeply affected by the violence against this young man, who could have started a life in Dortmund and perhaps fulfilled his dream of becoming a footballer and seeing his beloved BVB play many more times.
It was unusual that, several months after the disastrous operation, the public prosecutor’s office brought charges against five of the twelve officers involved in the operation. It came as little surprise that the trial, which lasted throughout 2024, ignored Mouhamed’s family, who were only able to attend the trial as joint plaintiffs thanks to our efforts, that the proceedings provided a platform for racism, misanthropic police logic and perpetrator-victim reversal, and that in the end all five police officers were acquitted. All five, including the shooter who fired six shots at Mouhamed with a submachine gun just 0.7 seconds after the tasers were used, and the officer in charge who planned this fatal operation with no alternative, are now continuing or returning to work as police officers.
In addition to coping with the loss of their beloved son and brother, the Dramé family is now also fighting to defend Mouhamed’s memory against racist narratives of him being a ‘knife attacker’ and a liar. The police’s portrayal of an aggressive attacker was quickly picked up by North Rhine-Westphalia Interior Minister Herbert Reul, spread by right-wing and conservative media, and reinforced by the lawyers of the five accused police officers with fragments from Mouhamed’s life.
Narratives like this fit in with the propaganda of right-wingers and racists and obscure the view of a young person who fled to Europe full of hope and at great sacrifice, who posed no danger to anyone but needed help and a voice instead of violence.
For us, justice for Mouhamed means preserving his story and his memory, resisting right-wing and other authoritarian appropriation, and fighting to ensure that a story like his will never happen to anyone again.
Please support our struggle, spread Mouhamed’s story, donate to his family, send solidarity.
For demilitarisation, disarmament, and the abolition of the police.
For a good life for all, without borders and prisons, in freedom and solidarity.
Rest in power, Mouhamed!
Rest in power, Ferhat!
(Page 1): Summary (de/en)
(Page 2): Benjamin Düsberg (de/en)
(Page 3): AZADÎ (de/en)
(Page 4): Nanuk (de/en)
(Page 5): Cleo (en/de)
(Page 6): Thomas Meyer-Falk (de/en)
(Page 7): Kay Schedel (de/en)
(Page 8): Andreas Krebs (de/en)
(Page 9): Solidaritätskreis Justice4Mouhamed (Dortmund) (de/en)