Lasst uns über Knast und Repression reden – Ein Gespräch mit Kay

Veröffentlich am 06.03.2023

Politische Bewegungen müssen sich mit dem Thema Repression auseinandersetzen, um sich im Ernstfall auch darauf besser vorzubereiten. Als Rote Hilfe Berlin machen wir oft die Erfahrung dass. vor allem jüngere, Genoss:innen, sich damit zu wenig beschäftigen und das Thema fast verdrängen. Das Ergebnis ist eine diffuse Unsicherheit und teilweise Lähmung. Daher haben wir einem politisch kämpfenden Gefangenen gebeten, uns Etwas über seine Sicht und Knast Erfahrung zu berichten.


Willst du dich einmal kurz vorstellen um über deine Situation zu erzählen?

Mein Name ist Kay Schedel, momentan im offenen Vollzug der JVA Neuruppin-Wulkow. Bevor ich nach Neuruppin-Wulkow gekommen bin, war ich für 14 Monate in der U-Haft in Berlin Moabit.

Wie bist du reingekommen nach Moabit?

Warum ich in die UHaft gekommen bin, dazu möchte ich gerne auf den Artikel „Prozessbericht über die Verhandlung wegen dem Brand im Gericht Tiergarten“ (10.09.2020) auf der Hompage Criminals for Freedom verweisen. (https://criminalsforfreedom.noblogs.org/2020/09/prozessbericht-ueber-die-verhandlung-wegen-dem-brand-im-gericht-tiergarten/)

Wie war dein erster Eindruck, als du in die U-Haft gekommen bist? Hattest du schon vorher Erfahrung mit Knast als Besucher oder was darüber gelesen? Oder war alles neu für dich?

Gelesen mal ab und zu in den Nachrichten, wenn es zum Beispiel Revolten in Gefängnissen gab, oder jemand ist zu tode gekommen, wenn mal daüber berichtet worden ist. Sonst hatte ich noch gar keine Bezüge zum Thema Knast. Ich bin halt mal vorbeigefahren. Habe mir öfters gedacht: muss echt scheiße dahinter sein.
Der erste Eindruck in der JVA Moabit: es stinkt, es ist grau, es ist kalt. Hier darf man erstmal quasi seinen Prozess abwarten, man weiß nicht was passiert. Wie soll man damit umgehen, was ist mit der Freundin, ganz wichtig. Was ist mit den Eltern, was ist mit den ganzen Bekannten? Wenden sie sich jetzt ab, glauben sie den ganzen Stuss, warum ermittelt wird. Da waren also zigtausend Fragen, die auf einen einprasseln. Und die erste Zeit, die ersten 1-2 Monate, war man mega mega traurig. Ja also irgendwie, weiß ich nicht, ein paar Gedanken gehabt. Das hält man nicht aus, das möchte man nicht aushalten und irgendwann kam dann der Punkt, wo man gemerkt hat, dass in diesem Knast-System, beziehungsweise in der JVA Moabit sehr viel Mist gemacht wird mit den Gefangenen. Dort gilt eigentlich noch die Unschuldsvermutung, da die noch kein Urteil haben. Das quasi mit den Menschen ekelhaft umgegangen wird. Manche Repression erleiden. Irgendwann fing bei mir auch die erste Repression an, wo ich mir dann gesagt hab, dass werde ich mir von diesem Justizsystem und diesen Schlusen die dort arbeiten nicht gefallen lassen. Und wie gesagt, nach diesen zwei Monaten ist die Traurigkeit und die Hoffnungslosigkeit in Wut und Hass gegen dieses System umgeschlagen.

Ich habe dann angefangen mich massiv zu wehren, mit Stift und einem Zettel. Ganz viele Anträge geschrieben. Auch Anträge auf gerichtliche Entscheidungen. Und hab dann auch schnell Kontakt mit dem Lichtblick (Gefangenenzeitung, Anm.)in der JVA Tegel geschlossen. Da fing der ganze Kampf an mit der Fachliteratur, Strafvollzugsrecht, was ich auch immer noch weiter betreibe. Ja, obwohl ich noch in Haft bin, also im Offenen, macht mir das Thema Strafvollzugsrecht sehr viel Spaß, denn damit kann man einige Sachen wunderbar deeskalieren oder halt das System auf Trab bringen.

Magst du uns auch kurz vom Alltag im Knast erzählen? Viele Leute haben ja schon so Vorstellungen davon, wie so ein Knastleben ist. Was können sich die Leute tatsächlich vorstellen – oder auch nicht?

Also es gibt kleine Unterschiede zwischen U-Haft und Strafhaft. In der U-Haft wartet man auf sein Urteil oder seinen Prozess. Dann ist es quasi morgens um sechs Uhr, Lebendkontrolle. Lebendkontrolle heißt, die Tür wird nach dem Nachtverschluss erstmals aufgeschlossen von einer Schluse. Da wird halt geguckt, ob man noch da ist, oder noch lebt. Das ist diese sogenannte Lebendkontrolle. Diesen Begriff finde ich abartig, weil man über Nacht sich selbst überlassen ist. Wenn man halt Pech hat, ist man morgens tot. Man blickt dann halt in so ein dummes Gesicht einer Schluse, ja und dann ist um 07:15 Freistunde. In Berlin hat man das Glück, das man vormittags zwei Stunden Freigang auf dem Hof hat. Da rennt man wie so ein Bescheurter X Runden um den Kreis. In der Mitte ist ein bisschen Grün und ein Baum. Dann raucht man ein paar Zigaretten. Man unterhält sich, was so im Fernsehen gelaufen ist am Vorabend. Dann geht es wieder rein. Dann gehen halt ein paar zum Sport für eine Stunde oder so was. Ich war da zum Beispiel nicht beim Sport. Ich habe mich dann mehr beschäftigt mit dem Thema Strafvollzugsrecht. Habe die Knastleitung mal wieder etwas genervt mit Anträgen. Dann gab es um 11:30 Mittag. Da hat man halt sein Fraß ausgehändigt bekommen, auf deutsch gesagt, auf seinem Porzellan Hundenapf, wo man quasi raus essen konnte. Nach dem Essen ging es nochmal raus für eine Stunde. Das waren schon drei Stunden Freigang auf dem Hof, was man auch echt brauchte, weil ansonsten geht man unter. Andere Knäste haben in der U-Haft nur eine freie Stunde. Da ist Moabit gut eigentlich, aber auch nur das (Dies betrifft nicht alle, einige haben auch weniger, siehe mehr dazu hier: https://www.rav.de/publikationen/rav-infobriefe/infobrief-120-2020/todesfaelle-in-gewahrsam-todesfaelle-ohne-aufklaerung/ Anm. ). Um 13 Uhr ging es wieder rein, dann gab es noch ein paar Sportgruppen oder Umschluss. Irgendwann war dann Abendbrotausgabe um 17 Uhr und dann wurde man in den Nachtverschluss gebracht. Oder man hat noch einen Anwaltstermin, Skype-Gespräch oder Besuch gehabt. Ja das waren so die Umstände in U-Haft.

In der Strafhaft, so kann ich es jetzt sagen, aus der JVA Neuruppin-Wulkow, hat man eine Stunde Freistunde in der Strafhaft. Dann macht mal halt irgendwelche Gruppen mit, weiß ich nicht malen nach zahlen, basteln, irgendwelche Gespräche führen mit Sozialarbeitern, Psychologen, mit der Leitung.

Offener Vollzug, da ist die Tür Quasi 24 Stunden offen. Man kann also entscheiden ob man auf den Hof geht oder nicht. Wenn man gewisse Lockerung in der Strafhaft bekommen hat im offenen Vollzug, dann kann man draußen einem freien Beschäftigungsverhältnis nachgehen. Man geht halt zu einem ganz normalen Arbeitgeber in Berlin, oder wo man will. Sollte natürlich schon in der Nähe sein. Abends kehrt man zurück in die Anstalt. Das sind die ganz groben Unterschiede zwischen U-Haft, Strafhaft und Strafhaft im offenen Vollzug.

Du bist ja 2020 in U-Haft gekommen. Was hat sich am Knastalltag durch Corona verändert?

Es fand eine Isolation in der Isolation statt. Sportprogramme vielen aus, Physiotherapien vielen aus, der Besuch wurde komplett gestrichen, selbst massive Einschränkungen des Besuchs der Verteidiger um sich auf den Prozess vorzubereiten fanden statt, und das in der U-Haft. Die JVA Moabit wurde komplett heruntergefahren. Für viele Schlusen und deren Äußerungen gab es sogar kein Corona.

Wie war deine Erfahrung mit den Mitgefangenen?

Ganz Unterschiedlich. Ich habe viele ganz unterschiedliche Menschen kennengelernt. Vom „Kleinkriminellen“ bis hin zu dem, der sich nicht ganz was leisten konnte und dann halt, weiß ich nicht, ein Paket Sushi und eine Büchse Bier aus dem Supermarkt geklaut hat und deshalb inhaftiert wurde, weil er keinen deutschen Pass hatte. Bis zum Brandstifter, bis zum Vergewaltiger, bis hin zum Mörder. Also die Spanne war wirklich groß, wie man es in den Medien hört und liest.

Du bist ja sozusagen selbst bekannt geworden, weil du dich für die Aufklärung der Todesumstände von Ferhat Mayouf eingesetzt hast, beziehungsweise dafür gekämpft hast. Inwieweit hat dich das geprägt? Welche Repression und auch Solidarität hast du erfahren?

Also die Todesumstände. An dem besagten Tag, war man quasi auf seiner Zelle eingeschlossen und man hört, dass da ein Mensch um Hilfe schreit, weil es auf seinem Haftraum gebrannt hat, oder halt brannte. Nicht einschreiten zu können, obwohl man selbst damals eine vollwertige Ausbildung genossen hat,aus dem Rettungsdienst kommt,das ist schon doof, echt scheiße quasi. Da hat man sich danach, nach dem Brand mit Mithäftlingen darüber unterhalten, die es auch so mitbekommen haben. Und schnell wurde dann erzählt, Ferhat Mayouf soll da selber daran schuld gewesen sein, der hat absichtlich seine Zelle angesteckt. Wobei man mit Ferhat Mayouf öfter auf dem Hof eine Zigarette geraucht und ganz normale Gespräche geführt hat. Es ist halt echt eine Scheißsituation gewesen. Für mich war dann der Punkt, wo ich mitbekommen habe, dass die Justiz sich von dem Versagen freisprechen will, als ich dachte: das muss an die Öffentlichkeit. Und der erste Schritt war es, mit meinen Eltern zu telefonieren. Die haben das Gespräch aufgenommen und haben es dann an Lichtblick, die Knastzeitung, gesendet. Dann hat der Lichtblick Kontakt mit mir aufgenommen, dann habe ich dazu halt was geschrieben und habe es denn per Post und auch über andere Wege gesendet, weil der Brief, den ich gesendet habe, der wurde abgefangen von der JVA Moabit. Mit dem Kommentar, das stimme nicht, ich soll die Fresse halten, ansonsten passiert was und alles sowas. Dann habe ich mir gedacht, gut mache ich dann über andere Kommunikationswege. Was auch letztlich geglückt ist. Und seitdem hatte ich immer mit Repression zu kämpfen. Die Heizung wurde nach dem Nachtverschluss ausgedreht, öfters auch mal mit dem Schlüssel gegen die Zellentür geklopft, dann wurden Anträge nicht bearbeitet, Post ist verschwunden, Post wurde aufgemacht obwohl die Post zu öffnen ist im Beisein des Gefangenen. Also sie haben sich schon viele lustige Sachen einfallen lassen. Bloß darauf folgten von mir, im Rahmen des Strafvollzugrechts Anträge. Und irgendwann war dann eine richtig lustige Aktion. Da hat man mich und meinen Zellengenossen morgens mit Acht Schlusen raus gezogen. Im Winter, da konnte ich mir keine Schuhe anziehen, musste dann mit Socken mit diesen Chaoten da mitlaufen. Musste mich dann vor denen da komplett entkleiden, durfte mich dann umdrehen und dann mein Arschloch quasi den Schlusen öffentlich präsentieren. Dabei ist mir etwas entfleucht, da fragte mich die Schluse ob ich ihn da gerade angepupst habe. Da meinte ich, „ja, damit müssen sie rechnen, wenn sie mich vor meinem Stuhlgang aus meiner Suite raus ziehen.“ Das war mir echt scheiß egal. Danach habe ich diese Anstalt auf Schmerzensgeld verklagt und nach knapp einem Jahr wurden mir 1000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, weil das eine rechtswidrige Maßnahme der JVA Moabit war. Dementsprechend auch nach Artikel 3 der europäischen Menschenrechtskonvention, unmenschliche Behandlung und Folter den Fall gewonnen habe.

Und hast du auch Solidarität erfahren im Knast oder von Außen?

Ganz viel. Angefangen hat es mit der Gruppe Criminals for Freedom. Sie kämpfen für Haftumstände und gegen Missstände. Für mich war es das Sprachrohr nach draußen, was so das Thema Ferhat Mayouf angeht, aber auch sonst. Irgendwann kam dann die Kampagne Death in Custody mit dazu. Dann die Rote Hilfe. Sachen wurden veröffentlicht bei Kontrapolis. Also so die ganzen Knastorganisationen, die man im Laufe der Haftzeit so kennengelernt hat, ob jetzt über Post oder Zeitung haben sich dazu entschieden, viele Sachen zu veröffentlichen, dadurch hat man ein Sprachrohr. Selbst bis nach Wien, also ABC Wien. Man hat sehr viel als kämpferischer Gefangener, sehr viel Solidarität von außerhalb bekommen. Auch private Post Sachen von ganz normalen Menschen, die vielleicht auch in der Szene aktiv sind, wie zum Beispiel aus Kiel oder Flensburg, da hat man immer noch Kontakt.

Sowohl zu dem Thema, als auch zu anderen Sachen, wie gehst du in so einer geschlossenen Institution, wie dem Knast, mit Ungerechtigkeit um. Du hast es ja schon angesprochen, dass du dich auch viel mit dem Strafvollzugsgesetz beschäftigt hast. Gibt es im Knast Verbündete zu dem Thema oder hast du dir das alles selbst angeeignet und machst es eher so alleine?

Also, ohne das es zu arrogant klingt, aber auf meiner Station hat sich, so wie ich die Leute kennengelernt habe, nicht einer mit dem Strafvollzugsgesetz auseinandergesetzt, die haben eher sehr verbal argumentiert, wovon ich mir nicht so wirklich was kaufen konnte. Wollte das eher fachlich machen. Also auch wenn es eine Schluse ist, muss ich ihn nicht massiv beleidigen. Natürlich ist mal so ne Spitze gefallen, aber zum Thema Strafvollzugsrecht: ich habe irgendwann den Tipp bekommen von dem Lichtblick, dass ich mich damit mal auseinandersetzen sollte und dass ich gute Karten hätte,das zu verstehen und das dann quasi auch umzuwandeln. So, dass für andere Gefangene und für sich selbst positive Entwicklungen entstehen.

Nochmal zum Knast generell. Glaubst du, das ist ein Ort an dem Leute politisiert werden und den ganzen Scheiß in Frage stellen oder hast du das Gefühl, es hat die gegenseitige Wirkung, dass die Repression auch wirkt?

Bei manchen wirkt die Repression. Der eine Mitgefangene von mir hatte ein paar Tage nach mir eine Leibesvisitation, wo er sich komplett nackig machen musste und sich in sein Arschloch gucken lassen musste. Der kam dann auf dem Hof zu mir und meinte, „Kay ich hab ein komplettes Trauma.“ Ihn hat es voll mitgenommen. Für mich war es natürlich auch unangenehm, aber kein traumatisierendes Ereignis, sondern ich habe versucht, mir daraus eher einen Jux und Spaß zu machen. Und habe ihm gesagt, ich werde natürlich die Anstalt verklagen. Es gab dann Leute, die haben sich einschüchtern lassen, ich aber nicht. Klar man war immer auf hab Acht Stellung, besonders was den Nachtverschluss angeht, weil es gab auch Schilderungen und Erlebnisse, wo der Schläger Trupp in irgendeine Zelle reingegangen ist. Hat den Gefangenen auf Teufel komm raus beleidigt und auch vermöbelt. Weil man halt Stress mit denen hatte.

Komischerweise haben die sich das bei mir nicht getraut, weil ich auch ein Hühne eigentlich bin, so große Leute gibt‘s da auch nicht, was Schlusen anbelangt. Zu einer Schluse habe ich auch echt mal gesagt, sollte er mich anfassen oder irgendwas machen, dann sengt es. Also dann schlag ich auch zu. Weil als Bürger muss man sich nicht von solchen Idioten verkloppen lassen, ja. Ob man Ausländer ist oder nicht, oder ob man Deutscher ist oder nicht, das ist völlig Banane.

Was war die andere Frage nochmal?

Hast du das Gefühl, dass der Knast die Leute dazu bringt den Knast in Frage zu stellen? Oder ob die Leute das Gefühl haben, das sie ungerecht behandelt werden und ihre Verzweiflung in Wut umwandeln?

Also, was mir aufgefallen ist im Knast: Ich will jetzt nicht sagen ich habe mich radikalisiert, aber ich bin dann doch eher… Ich war schon vorher links, was Ungerechtigkeit anbelangt oder Rassismus, weil man damals so erzogen worden ist und als Kind viel mit der PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus, Anm.) zu tun hatte. Aber ich muss sagen, seitdem ich in diese staatlichen Institution gelangt bin, bin ich sehr weit nach links gegangen. Ich finde das auch schön, ist natürlich besser als rechts. Aber ich selber merke, ich hatte vorher mit diesen linken Aktionen, Bündnissen oder Gruppen eher weniger zu tun. Man hat halt eher immer sein Kreuz gemacht bei „die Linke“ oder sowas. Damit war‘s das auch gewesen. Man hat dann damals auch ’n Bier getrunken mit Gysi, das war halt so. Aber ich muss sagen, im Knast habe ich mich dann doch schon sehr weit nach links abgeschottet, weil man halt gegen diese Institution ist. Knast macht in meinen Augen gar keinen Sinn. Es ist eher das Problem der Gesellschaft. Die sagen, eine Person hat einen Fehler begangen, die muss man jetzt bestrafen. Karl Marx sagte damals: „Strafen macht keinen Sinn“ vor 150 Jahren. Ich sehe das genauso, denn man wird im Knast eher desozialisiert: Wohnung fällt weg, Job ist weg. Wenn man kein Urteil bekommen hat, wird man mit nem blauen Müllsack vor die Tür geschmissen. Vielleicht ist die Frau noch weg, Kinder weg. Also in meinen Augen ist Knast desozialisierend und nicht förderlich für die Gesellschaft. Letzten Endes hat die Gesellschaft dann noch die Arschkarte.

Und dann als letzte Frage: Gibt es Dinge die du Leuten raten würdest, die draußen sind? Im Bezug auf Solidarität oder auch wenn Leute eine krasse Angst vor Knast haben.

Ich kann sagen: Klar, Knast ist scheiße. Es ist beängstigend auf 5qm oder 8qm eingesperrt zu werden für 23 Stunden und desozialisiert zu werden. Dennoch muss ich sagen, so ne wirkliche Angst vorm Knast habe ich jetzt nicht. Klar, es wird mich mein Leben lang begleiten. Ich kann bloß sagen, dass man sich nicht von diesem fragwürdigem Knastsystem biegen und brechen lassen sollte. Man hat immer noch eine Menschenwürde. Die sollte man in Form von Anträgen und Haltungen weiterhin durchsetzen. Ansonsten kann ich jedem der inhaftiert wird das Thema Strafvollzugsrecht empfehlen. Dafür ist es da. Das kann man anwenden bei der U-haft und bei der Strafhaft und kann damit sehr viel erreichen. Und einfach weiter kämpfen für seine Freiheit, für seine Menschenwürde. Sich nicht mundtot machen lassen vor allen Dingen von diesem Staat. Einfach schreiben. Meine Mutter hat damals gesagt, als ich angefangen habe mich zu wehren: „Die gefährlichste Waffe eines Inhaftierten ist ein Stift und ein Zettel.“ Das war auch so. Und sonst für andere Leute, die vor den Knästen demonstrieren und vielleicht irgendwelche Polizeigewalt erfahren, oder durchsucht werden: Ist völlige Bockwurst. Geht da hin, zündet nen Knaller, zündet ne Rakete oder so was. Das ist dann halt so. Was wollen die machen? Wollen die mich jetzt wegen Knaller in den Knast stecken weil da Böllerverbot ist? Schwachsinn. Klar geht‘s vielleicht mal n paar Stunden in die GeSa (Gefangenensammelstelle, Anm.) zum Personalien feststellen oder sowas. Die Menschen sollten sich draußen mal mehr hinterfragen, ob die Justiz in Deutschland überhaupt richtig arbeitet. Es gab damals einen Richter beim Bundesgerichtshof vom zweiten Strafsenat (Ralf Eschelbach, Anm.) der gesagt hat, es gibt pro Tag ca. 650 Fehlurteile in Deutschland. Und, dass die kriminelle Justizbande sich gegenseitig deckt, das ist sein Zitat. Und dann sollten sich auch die ganzen anderen Bürger, die vielleicht glücklich mit ihrer Familie in irgendeiner Eigentumswohnung in Pankow, Prenzlauer Berg oder Kreuzberg mal wirklich hinterfragen ob dieses System „Justiz und Polizei“ überhaupt für die Bürger da ist, weil ich sage: Nein. Das ist es nicht.

Außerdem: Rest in peace Ferhat Mayouf und no justice no peace!