Rede von Benjamin Düsberg
Biplab Basu, der große Menschenrechtsaktivist und Aufklärer, hat immer wieder betont: Die Justiz ist nichts als eine massive Vertuschungsinstitution, wenn es um die Aufklärung der Verbrechen der Polizei geht. Die dritte Gewalt ist hier der zweiten Gewalt völlig hörig. Da wird nicht kontrolliert, da wird nicht aufgeklärt, sondern die alltägliche und allzu oft rechtswidrige Gewalt der Polizei legitimiert, während deren Opfer regelmäßig wegen angeblichen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bestraft werden. Aktuelles Beispiel ist die massive Repression gegen palästinasolidarische Demonstrationen. Es laufen tausende Strafverfahren gegen Demonstrierende, die in Ausübung ihrer Grundrechte immer wieder auf brutale Art und Weise festgenommen werden.
Der Fall Ferhat Mayouf hat die zugespitzte Formulierung von der Justiz als Vertuschungsinstitution bei polizeilichen Verbrechen auf erschreckende Weise bestätigt und wieder einmal gezeigt, dass dies auch und gerade für Fälle tödlich wirkender Staatsgewalt gilt. Wieder hat die Justiz vertuscht, statt aufzuklären.
Doch ich bin glücklich, dass wir uns hier aus diesem traurigen Anlass, dem 4. Todestag von Ferhat Mayouf, erneut versammeln. Dass ihr euch nicht damit abfindet, dass der Tod von Ferhat als Suizid abgetan wird. Dass ihr dran bleibt und weiter macht, in Trauer und in Wut.
Ferhat Mayouf – sein Tod war ein Justizverbrechen. Es war mörderische Gleichgültigkeit. Nur die deutsche Justiz will das erneut nicht anerkennen, weil die Täter deutsche Justizbeamte waren und das Opfer wieder eine Person of Colour – wir denken dabei nicht zufällig an den Fall von Oury Jalloh.
Ferhat Mayouf war zu sehr Mensch, zu lebendig, um sich mit den unmenschlichen Haftbedingungen von 21 oder mehr Stunden Einschluss in der Moabiter Untersuchungshaft einfach abfinden zu können – er verzweifelte an der Unfreiheit. Ich habe Ferhat Mayouf als einen lebensfrohen Menschen mit einem unbändigen Freiheitswillen kennengelernt. Er wollte nicht sterben, er wollte leben, doch er stieß an die engen Moabiter Mauern und Gitter und geriet an ignorante Justizbeamte, denen sein Wohlergehen und sogar sein Überleben egal waren.
Im Haftprüfungstermin am 20. Juli 2020 beantragten wir seine sofortige Freilassung, denn der Termin kam eine Woche zu spät. Die sofortige Freilassung wurde – entgegen den Vorgaben des Landesverfassungsgerichts in Fällen des Überschreitens der Zweiwochenfrist zur Durchführung einer mündlichen Haftprüfung – abgelehnt. Ferhat Mayouf wies in dem Termin darauf hin, schwere Depressionen zu haben, was in dem Protokoll vermerkt wurde.
Diese Eintragung wurde in der JVA Moabit schlicht ignoriert. Ferhat sah keinen Arzt, keine Psychologin mehr. Vier Tage später war er tot.
In der Nacht seines Versterbens, berichtet ein Mitgefangener, schrie er noch mehrfach nach Tabak, wird jedoch von den alarmierten Beamten ignoriert. Verhält sich so ein Mensch, der sterben will?
Ferhat Mayouf ist verzweifelt, legt offenbar kurz danach in seiner Zelle Feuer, um auf seine Not aufmerksam zu machen; es ist kein offen loderndes Feuer, sondern ein Schwelbrand. Trotzdem öffnen die Beamten nicht, sondern entscheiden, die Tür nicht zu öffnen und auf das Eintreffen der Feuerwehr zu warten. Vier Beamte vor seiner Zellentür, von denen keiner ein Herz für das Leben Ferhat Mayoufs besaß.
Vergleichbare Fälle gibt es häufiger: Da gehen Beamte mit Vollschutz und Feuerlöscher in die Zelle rein, löschen und retten. Warum ist das vorliegend nicht passiert? Es vergehen stattdessen wertvolle 27 Minuten, während derer, davon gehen wir aus, Ferhat Mayouf gestorben ist.
Stellen wir uns Eltern vor, die ihr Kind bestrafen, nachdem es etwas Verbotenes getan hat. Sie sperren es ein, das Kind schreit, es protestiert, es verzweifelt, während die Eltern es ignorieren. Irgendwann hält es das Kind nicht mehr aus. Es beginnt zu zündeln, im Zimmer beginnt es zu brennen. Die Nachbarn entdecken den Rauch, alarmieren die Eltern. Diese rennen zur Zimmertür – und entscheiden, diese nicht zu öffnen und stattdessen auf das Eintreffen der Feuerwehr zu warten? Was würden wir von solchen Eltern denken? Würde in einem solchen Fall das Ermittlungsverfahren eingestellt? Wohl kaum.
Der Vergleich mag hinken, aber an der entscheidenden Stelle tut er dies nicht. Wie die Eltern eines Minderjährigen qua Gesetz Schutzpflichten für dieses tragen, gilt dies ebenso für die JVA und ihre Angestellten in Bezug auf die Gefangenen. Diese werden einer totalen Institution unterworfen, in der Freiwilligkeit, freie Entscheidungen nicht vorgesehen sind und nicht mehr existieren. Insofern stimmt der Satz, dass es in Haft keinen freiwilligen Tod geben kann.
Die Schutzpflicht der Beamten für die körperliche Unversehrtheit der Gefangenen ist die Kehrseite des vollständigen Autonomieentzugs, denen die Gefangenen unterworfen werden und welcher dazu führt, dass Selbsthilfe nicht mehr möglich ist. Ferhat Mayoufkonnte die Tür nicht öffnen – lediglich die Beamten, die mit dem Schlüssel davorstanden. Sie waren daher zum Eingreifen verpflichtet. Und dies wäre auch ohne größere Eigen – oder Fremdgefährdung möglich gewesen. Alles spricht für ein Feuer von niedriger Intensität mit geringer Sauerstoffzufuhr, also für einen sogenannten Schwelbrand – das wissen wir aus den eingeholten Brandgutachten und davon Zeugen die Bilder aus der Zelle, aus denen hervorgeht, dass weder das Mobiliar noch der Körper von Ferhat Mayouf vom Feuer erheblich versehrt wurden, umgekehrt aber eine starke Verrußung zu erkennen ist. Ferhat Mayouf ist nicht verbrannt, sondern erstickt.
Was tut also die Staatsanwaltschaft? Erstmal gar nichts, mehr als 2 Jahre lang.
Dann formulieren wir eine Strafanzeige, Ermittlungen werden endlich eingeleitet, Kay Schedel wird endlich vernommen, neue Fotos tauchen in der Akte auf, die ebenfalls davon zeugen, dass es sich nicht um ein besonders schweres Feuer handelte. Kay Schedel wiederholt seine Aussage, dergemäß wahrscheinlich Ferhat Mayouf noch laut um Hilfe gerufen habe, als die Beamten schon vor seiner Tür standen. Und nicht nur er – auch ein anderer Mitgefangener macht eine ähnliche Aussage, welche die Angaben von Kay bestätigt.
Doch diesen klaren Aussagen wird nicht geglaubt. Die Zeugen hätten ja gar nicht unterscheiden können, wer genau da geschrien hätte.
Auch sei, so die Staatsanwaltschaft, die Kausalität zwischen dem Nichtöffnen der Tür und dem Versterben von Ferhat sei nicht nachweisbar. Zudem hätte das Öffnen der Tür die Sicherheit der Anstalt und der Bediensteten bedroht. Das Verfahren wird eingestellt.
Wir haben dagegen Beschwerde eingelegt, denn all diese Argumente sind falsch.
Denn selbst wenn es stimmt – wie die Beamten behaupten – dass von Ferhat nichts mehr zu hören gewesen wäre, als sie vor dessen Zellentür standen, würde daraus nicht folgen, dass Ferhat bereits verstorben war. Bei Rauchgasvergiftungen liegt der Todeseintritt regelmäßig (je nach Kohlenmonoxid-Konzentration) zeitlich deutlich nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit. Es ist also auch in diesem Falle sehr wahrscheinlich, dass Ferhat noch lebte und lediglich bewusstlos war, als die Beamten vor seiner Tür standen und nichts von ihm gehört haben wollen. Auch dann ist also die Ursächlichkeit des Versterbens durch das lange Warten auf die Feuerwehr sehr wahrscheinlich. Es besteht ein entscheidender Unterschied von 5 Minuten zu 27 Minuten.
Und selbst wenn die Ursächlichkeit des Unterlassens am Ende nicht nachweisbar sein sollte: Es wäre juristisch dann jedenfalls als ein versuchtes Tötungsdelikt einzuordnen. Denn sein Tod wurde durch die Beamten billigend in Kauf genommen. Die bloße Tatsache des Nicht -Öffnens, des sich Nicht-Bemühens zeigt doch, dass den Beamten das Leben vorn Ferhat Mayouf gleichgültig war.
Dass die Sicherheit der Anstalt und der Bediensteten ernsthaft bedroht war, ist ebenfalls nicht richtig. Es handelte sich um einen Schwelbrand. Es gibt in den Brandschutzbestimmungen klare Anweisungen der JVA zum Verhalten im Brandfalle, die das Vorhandensein von Feuerl Darin heißt es u.a:
- Türen zu Brandbereichen wegen der Gefahr entgegenschlagender Stichflammen möglichst von der Seite öffnen.
- Löschmaßnahmen werden unter Beachtung des Selbstschutzes durch das Personal bis zum Eintreffen der Feuerwehr eingeleitet.
- selbständige Brandbekämpfung im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten (Feuerlöscher und Wandhydranten).
Nichts davon wurde getan. Die Beamten sind schlicht weggegangen und haben Ferhat seinem Schicksal überlassen.
Außerdem war das Aussageverhalten der Beamten vor Ort widersprüchlich. Einmal sagten sie, sie hätten versucht, die Tür zu öffnen, aber es sei nicht möglich gewesen, weil diese von der Hitze verzogen gewesen sei. Ein anderes Mal behaupteten sie, sie hätten es aus Gründen der Eigensicherung gar nicht erst versucht. Außerdem hieß es, es habe eine entsprechende Anweisung des Schichtführer gegeben, was ebenfalls bedeutet, dass man es gar nicht erst versucht hat. Die Beschuldigten wurden dazu jedoch nicht einmal verantwortlich vernommen – das wäre jedoch das Naheliegendste gewesen!
All diesen aufgezeigten Versäumnissen und Widersprüchen zum Trotz wird die Beschwerde zurückgewiesen. Aber wir alle bleiben dran. Ermittlungen können bei neuen Anhaltspunkten jederzeit aufgenommen werden.
Wir verlangen weitere Ermittlungen und Anklageerhebung gegen die verantwortlichen Beamten. Es lebe Ferhat Mayouf. Auf das sich solche Verbrechen durch deutsche Staatsbeamte nicht wiederholen.
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