Keine Änderung der Repressionspolitik unter der Ampel-Regierung
Pressemitteilung von AZADÎ e.V. vom 24.11.2022
Am 26. November 1993 trat das vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther verfügte Vereins- und Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie angebliche Tochter- und mögliche Nachfolgeorganisationen in Deutschland in Kraft. Auf dieser Grundlage fanden in den letzten 29 Jahren zehntausende von Strafverfahren statt, wurden Grundrechte der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden außer Kraft gesetzt, Demonstrationen und Kundgebungen verboten. Politisches Engagement ohne jeden strafrechtlichen Verstoß ist vielen Kurdinnen und Kurden ohne deutschen Pass unter Maßgaben des Ausländerrechts zum Verhängnis geworden. Einbürgerungen wurden verweigert, der Asylstatus wieder aberkannt und Menschen per Ausweisungsverfügung die Aufenthaltserlaubnis und damit jede gesicherte Lebensgrundlage in Deutschland entzogen. Kurdische Einrichtungen und Vereine waren flächendeckend der Bespitzelung durch Polizei und Geheimdienste ausgesetzt. Das Verbot hat tief in das Leben der Menschen eingegriffen und bei vielen die Erfahrung hinterlassen, der Verfolgung in der Türkei entkommen zu sein, um in Deutschland wieder in einer Falle zu sitzen.
Kurdische politische Gefangene
Schon seit Ende der 1980er Jahre wurden Dutzende kurdischer Aktivistinnen mittels der umstrittenen Paragraphen §129 und §129a Strafgesetzbuch (StGB) als Mitglieder in einer inländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung angeklagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Als mangels Tatbeständen die Anklagen zurückgingen, kam 2010 der Bundesgerichtshof (BGH) der Regierung zur Hilfe und legte nahe, auch kurdische Aktivistinnen und Aktivisten nach dem im Jahre 2002 eingeführten §129b als Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu verfolgen. AZADÎ hat seit der BGH-Entscheidung 59 Aktivistinnen registriert und betreut, die aufgrund dieses Paragraphen verurteilt wurden bzw. deren Verfahren noch nicht eröffnet sind. Derzeit befinden sich neun Kurden auf der Grundlage von §§ 129a/b in Untersuchungs- oder Strafhaft.
Kontinuitäten
Die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung in Deutschland ist unabhängig von den Parteikonstellationen der jeweiligen Bundesregierung. Auch die aktuelle Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) knüpft nahtlos an die Politik ihres CSU-Amtsvorgängers Horst Seehofer an. Das gilt ebenso für den neuen Bundesjustizminister Dr. Buschmann (FDP). So wurden am 18. Oktober in Saarbrücken das kurdische Gesellschaftszentrum e.V. in Saarbrücken sowie mehrere Privatwohnungen im Saarland durchsucht. Grundlage waren Ermittlungsverfahren nach §129b StGB gegen vier politisch aktive Kurden, nachdem zuvor die für die Anklagen nötigen Einzelermächtigungen beim Bundesjustizministerium eingeholt wurden. Wenige Tage später ist eine aus dem Saarland stammende Aktivistin aufgrund eines Ersuchens der deutschen Strafverfolgungsbehörden auf dem Flughafen Brüssel in Auslieferungshaft genommen worden. Sie wird beschuldigt, für die Jugendorganisation der kurdischen Bewegung tätig gewesen zu sein. Inzwischen wurde sie an Deutschland überstellt und befindet sich in Untersuchungshaft.
Während die angeblich wertegeleitete neue Außenpolitik von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) vor allem Russland und China im Fokus der Kritik hat, wird gegenüber den massiven Menschenrechtsverletzungen und aktuellen völkerrechtswidrigen Militäroffensiven des NATO-Partners Türkei gegen Nordsyrien und Nordirak sowohl in der Politik als auch in den Leitmedien weitgehend geschwiegen. Gleiches gilt für den gut dokumentierten Einsatz weltweit geächteter chemischer Waffen seitens der türkischen Armee gegen Stellungen der kurdischen Guerilla seit April dieses Jahres.
Neben der Drohung, die Grenzen zur EU für Flüchtlinge in der Türkei zu öffnen, hat Staatspräsident Erdoḡan im Rahmen des Ukraine-Krieges ein neues Druckmittel in der Hand. Er blockiert den angestrebten NATO-Beitritt von Schweden und Finnland mit der Begründung der angeblichen Unterstützung der PKK und fordert unverhohlen ein (noch) härteres Vorgehen gegen die politischen Aktivitäten der kurdischen Bewegung in Europa.
Bundesregierung fest an der Seite Ankaras
Dass die Zusammenarbeit der deutsch-türkischen Repressionsbehörden auf höchster Ebene läuft, zeigte auch der dreitägige Besuch des Generalbundesanwaltes Dr. Peter Frank bei seinem türkischen Amtskollegen im Juli. Auf mehrere Nachfragen von Presse und Bundestagsabgeordneten weigerte sich die Bundesregierung, konkrete Angaben zum Inhalt des Treffens zu machen. Mehr als ungewöhnlich ist es auch, dass Frank zum Abschluss der Reise von dem sonst sehr protokollbewussten türkischen Staatspräsidenten Erdoḡan persönlich empfangen wurde.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte bei ihrem jüngsten Besuch in der Türkei gegenüber ihrem Amtskollegen Süleyman Soylu, Deutschland stünde im „Kampf gegen den Terrorismus“ fest an der Seite der Türkei und forderte hinsichtlich der gleichzeitig stattfindenden Bombardierungen Nordsyriens durch die türkische Armee lediglich, die „Verhältnismäßigkeit“ zu wahren. Längst sind dem Angriffskrieg zahlreiche – insbesondere Zivilist:innen – zum Opfer gefallen.
Jin – Jian – Azadi
Welchen tiefen Einfluss die kurdische Befreiungsbewegung auf die Veränderungen im Mittleren Osten hat, zeigt sich aktuell im Iran, wo die Parole der kurdischen Befreiungsbewegung „Jin – Jian – Azadi“ (Frau – Leben – Freiheit) von allen iranischen Volksgruppen als Aufruf zum Sturz der Diktatur mitgetragen wird.
Mit dem Betätigungsverbot der PKK dreht sich die deutsche Politik hingegen seit fast dreißig Jahren im Kreis. Weder die tiefgreifende ideologische Umorientierung der kurdischen Befreiungsbewegung noch ihr dominierender Beitrag im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) formell auch an der Seite Deutschlands, haben bislang zu einem Umdenken der Politik und bei den Repressionsbehörden geführt.
Ebenso wie der Widerstand in Kurdistan, braucht auch die internationale Solidarität einen langen Atem.
Eine Gelegenheit, diesen zu zeigen, ergibt sich bei der Demonstration am 26. November 2022 gegen das PKK-Verbot in Berlin, 11:00 Uhr, Hermannplatz/Neukölln.