AfD-Kränze werfen ist kein Verbrechen!

Veröffentlich am 26.08.2022

Wir dokumentieren hier ein Statement der Kampagne „kein Raum der Afd!“ zu einem Prozess gegen einen Genossen, der für sein antifaschistisches Engagement kriminalisiert werden sollte. Erfreulicherweise hat er das nicht auf sich sitzen lassen und die lächerlichen Anschuldigungen der Justiz mit einer ausführlichen Prozesserklärung beantwortet.

Wir begrüßen es und freuen uns immer darüber, wenn Genoss*innen sich für eine offensive politische Prozessführung entscheiden. Das Verfahren wurde auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, dass politische Prozessführung, ebenso wie das Nichteinlassen auf Deals nicht immer zu härteren Strafen führt. Und andernfalls gibt es immer noch die Möglichkeit der Unterstützung durch die Rote Hilfe.

Quelle: https://keinraumderafd.info/2022/08/24/afd-kraenze-zu-werfen-ist-kein-verbrechen/#more-1262


AfD-Kränze werfen ist kein Verbrechen!

Am 24. August fand vor dem Amtsgericht in Berlin-Moabit der Prozess gegen einen Teilnehmer der Veranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 25. Januar 2020 auf dem Parkfriedhof Marzahn statt. Dem Antifaschisten wurde vorgeworfen, dabei einen von der AfD abgelegten Gedenkkranz weggeworfen und „beschädigt zu haben“. Allerdings ist der Hauptbelastungszeuge der AfD, Joachim Nedderhut, seit einiger Zeit tot und der einzige Polizeizeuge konnte auch nichts zu der Sache sagen. Letztendlich willigte die Staatsanwaltschaft ein, das Verfahren auf Staatskosten einzustellen. Das Ergebnis hätte sie schon früher haben können, aber der Prozess sollte unbedingt geführt werden. Irgendwie musste ja begründet werden, warum das Verfahren an die Abteilung für Hasskriminalität gegeben wurde. Dank der solidarischen Prozessbegleitung gab es im Gerichtssaal keinen Platz mehr. In einer Prozesserklärung legte der angeklagte Genosse dar, warum die AfD und ihre Kränze nichts auf Gedenkveranstaltungen an die Opfer des Nationalsozialismus zu suchen haben und entfernt gehören. Wir haben das starke politische Statement unten angefügt.

Leider geht es aber nächste Woche schon weiter. Einer anderen Person wird vorgeworfen den gleichen Kranz zu einem späteren Zeitpunkt nochmal entfernt zu haben. *Der Prozess findet am 30. August um 13:45 in der Wilsnacker Straße 4 statt (Raum D107). Ab 13:00 gibt es eine Soli-Kundgebung* vor dem Gerichtsgebäude in der Wilsnacker Straße in Moabit. Kommt vorbei! Lassen wir uns nicht von der Repression spalten!

*Prozesserklärung* *vom 24. August*

Es ist so vieles falsch an diesem Prozess heute. Das einzige Wahre ist, dass ich am 25.Januar 2020 auf dem Parkfriedhof Marzahn einen Kranz der AfD genommen habe, um ihn vom Mahnmal für die ermordeten Zwangsarbeiter:innen zu entfernen. Dies geschah bei einer Gedenkveranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Anstatt die Frage zu stellen, ob meine Handlung strafbar war, sollten wir uns doch alle fragen, was der Kranz einer neofaschistischen Partei an einem Ort des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus verloren hat? Was haben Vertreter:innen einer völkisch-autoritären Politik auf einer Veranstaltung in Erinnerung und Mahnung an die mörderischen Auswirkungen völkischer Ideologie verloren? Und warum setzt das Land Berlin hunderte von Polizeibeamt:innen ein, um die politischen Selbstinszenierung einer extrem rechten Partei an den Gräbern von NS-Opfern zu ermöglichen?

Neben diesen Fragen gibt es noch vieles mehr an diesem Tag zu untersuchen oder politisch aufzuarbeiten. Hierfür gäbe es ein besonderes öffentliches Interesse. Doch darum geht es heute leider nicht. Keine der politisch verantwortlichen Personen möchte für die unfassbaren Vorkommnisse geradestehen. Stattdessen muss ich hier sitzen, um mich für eine Handlung zu verantworten, die nicht moralisch zu verurteilen ist. Eigentlich hätte dieses Verfahren schon lange eingestellt sein müssen. Aber offensichtlich gibt es ein besonderes Interesse an der Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement, selbst wenn es ausdrücklich darauf gerichtet ist, die Würde eines Gendenktages an die Opfer der Shoah zu bewahren. Da die Anklageschrift die beschämenden Ereignisse des Tages nur sehr ungenau wiedergibt, werde ich die Gelegenheit nutzen, um meine Sicht auf das Geschehen darzulegen und es umfassend einzuordnen.

Ich möchte damit anfangen, warum die Tage um den 27.Januar international als Gedenktage begangen werden. Der 27. Januar 1945 ist das Datum, an dem die Rote Armee endlich das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau erreichte und die verbliebenen Gefangenen befreien konnte. Während in den folgenden Wochen und Monaten noch zehntausende Menschen in anderen Lagern die Freiheit wiedererlangten, kam für Millionen eine Rettung zu spät. Der Tag ist damit ein Symbol für eine historische Schuld. Sie liegt nicht nur auf den Täter:innen, sondern muss in Form einer historischen Lehre ebenso das Leben der nachfolgenden Generationen begleiten:

/„Nie wieder Faschismus!“/

Demgegenüber steht die AfD als Partei seit ihrer Gründung für die Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Nur einige Beispiele hierfür sind die ekelhafte „Vogelschiss“-Aussage von Alexander Gauland oder die geschichtsrevisionistische Rede des Faschisten Bernd Höcke, der 2017 im Dresdner Ballhaus Watzke eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte. Der gleiche Thüringer AfD-Politiker schrieb wohl noch wenige Jahre zuvor unter dem Pseudonym Landolf Ladig in Neonazi-Postillen lokaler NPD-Kader aus dem Eichsfeld. In der AfD sind es Personen wie Höcke, die eine umfassende Einbindung extrem rechter Akteur:innen in die politischen Arbeit bezeugen. Und diese Partei möchte nun auf dem Marzahner Parkfriedhof an die Opfer einer völkischen Politik erinnern, deren Zielen und Idealen sie im Grunde nacheifert? Das ist mehr als unglaubwürdig und scheinheilig.

Zudem lässt sich in Marzahn-Hellersdorf nicht einmal ein politischer Unterschied zwischen dem extrem rechten Parteiflügel der AfD und dem lokalen Bezirksverband anführen. Vielmehr gilt der Marzahn-Hellersdorfer Verband als eine der rechtesten Parteigruppierungen in ganz Berlin. Viele Mitglieder stehen ideologisch den Positionen des völkischen „Flügels“ innerhalb der Partei nahe. Einige haben in der Vergangenheit in dieser Gruppierung Führungspositionen übernommen. Zwar gilt der „Flügel“ offiziell als aufgelöst. Hierbei handelt es sich jedoch vor allem um eine Strategie um der drohenden Auflösung zu entgehen. Seine politische Arbeit hat er nie eingestellt und persönlichen Netzwerke bestehen weiter. Das zeigt sich insbesondere an der AfD Marzahn-Hellersdorf. Sie organisierte in der Vergangenheit eigene Vortragsveranstaltungen mit Höcke. Sie unterstützte noch Andreas Kalbitz mit Solidaritätsbekundungen, als dieser wegen seines Engagements in Neonazigruppierungen bereits aus der Partei ausgeschlossen wurde. Mitglieder der Marzahn-Hellersdorfer AfD besuchten Veranstaltungen des völkischen Publizisten Götz Kubitschek oder Informationsabende mit dem extrem rechten Verleger Jürgen Elsässer.

Delegationen des Bezirksverbandes fuhren gar zu den jährlichen „Kyffhäuser-Treffen“ des AfD-Parteiflügels. Es war auf dem letzten dieser Treffen als Bernd Höcke unter tosendem Applaus und den frenetischen Rufen seines Nachnamens 2019 in die Stadthalle in Leinefelde einmarschierte. Mehrere AfD-Mitglieder aus Marzahn-Hellersdorfer standen dort auf dem Oberrang und klatschten begeistert Beifall. Unter ihnen befanden sich viele, die auch am 25.Januar 2020 auf dem Marzahner Parkfriedhof anwesend waren. Gunnar Lindemann war da, der noch heute Vorträge in Projekten hält, die der neofaschistischen „Identitären Bewegung“ in Österreich nahestehen. Auch Daniel Birkefeld war nach Leinefelde gekommen. Er gibt offen zu, in den 1990er Jahren mit einem späteren Neonazi-Mörder bekannt gewesen zu sein. Bernd Pachal war ebenfalls Teil der Reisegruppe. Inzwischen wäre das nicht mehr so einfach. Aufgrund extrem rechter Ausfälle hat er seinen Rückzug aus der Partei erklärt – nicht weil seine Einstellungen auf Widerspruch gestoßen wären, sondern allein um öffentlichen Schaden von der AfD abzuwenden. Und neben Bernd Pachal stand Joachim Nedderhut. Sie alle beteiligten sich am autoritären Führerkult des „Flügels“ und lauschten den Ausführungen extrem rechter Vordenker:innen wie Ellen Kositza.

Eine Teilnahme der Partei oder ihrer Marzahn-Hellersdorfer Mitglieder an einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des Nationalsozialismus ist für mich vor diesem Hintergrund nicht hinnehmbar, da sie einzig und allein der politischen Normalisierung neofaschistischer Politik dient und die Opfer verhöhnt. Für diese Haltung soll ich heute kriminalisiert werden. Weil ich es nicht ertragen konnte, dass eine extrem rechte Partei den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz politisch instrumentalisieren will.

Mein Verfahren sowie ein ähnlich gelagertes in der nächsten Woche bilden den unrühmlichen Schlussakt in dem demokratischen Trauerspiel, das sich rund um die Veranstaltungen zum Auschwitz-Gedenktag 2020 in Marzahn ereignete. Sie sind der Beweis, dass die historischen Lehren aus dem Nationalsozialismus trotz offizieller politischer Bekundungen bei Weitem noch nicht in der notwendigen Konsequenz gezogen wurden oder mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Ereignissen verblassen. Wenn Worten keine Taten folgen, sind diese nichts wert. Diese Geschichtsvergessenheit hat leider in Marzahn Tradition.

Seit 2017 versucht die örtliche AfD die Veranstaltungen zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus zur Selbstinszenierung zu instrumentalisieren, wie an vielen Orten in der Bundesrepublik. Doch schon bei diesen ersten Versuchen stießen sie in Marzahn auf Widerworte. Ihnen folgte 2019 ein wichtiges Zeichen. Aufgrund eines eigenen antifaschistischen Gedenkens wurde die Heuchelei der AfD friedlich unterbunden. Die Partei konnte ihre Kränze nicht niederlegen und musste unverrichteter Dinge von dannen ziehen. Während in anderen Bezirken, wie Lichtenberg, entsprechende demokratisch geführte Auseinandersetzungen zu einer Neuausrichtung der offiziellen Gedenkpolitik führten, blieb die Bezirkspolitik in Marzahn-Hellersdorf stur. Anstatt eine neofaschistische Partei vom Gedenken am Tag der Auschwitz-Befreiung am Gedenkstein für von NS ermordete Zwangsarbeiter:innen auszuschließen, gab es 2020 eine beispiellose Hetzkampagne gegen einen engagierten Antifaschismus

Bereits im Vorfeld drohte vor allem die lokale CDU-Führungsriege mit einem harten Durchgreifen und notfalls Polizeieinsatz gegen alle, die sich einem Gedenken der AfD entgegenstellen würden. Auch der damalige Innensenator Andreas Geisel von der SPD wurde mit ins Boot geholt. Ganz in der Tradition seiner Partei versprach er ein konsequentes Einschreiten, gegen jede Person, die sich den neuen Faschist:innen der AfD in den Weg stellen sollte. Dies führte dazu, dass am Tag selbst hunderte Polizist:innen den Marzahner Parkfriedhof belagerten. Mit Handschellen verschlossen sie die Tore und mit Hunden standen sie zwischen den Grabsteinen. Ein Betreten des Friedhofes war für eine lange Zeit nicht möglich. Unter den Ausgeschlossenen waren Nachkommen von Opfern des NS, Menschen, die die nationalsozialistische Barbarei noch selbst erfahren hatten, Lokalpolitiker:innen und auch die Vertreter der Botschaften. Trotzdem gelangten einige Menschen, die früh genug anreisten, zum Gedenkort für die ermordeten Zwangsarbeiter:innen. Dort wurden sie von der Polizei rabiat weggeschubst. Dabei waren auch über siebzigjährige Personen, die Familienangehörige in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern verloren haben. Und wofür das alles? Für die AfD, die mit nicht mal einem Dutzend Parteimitglieder dafür aber gleich mit zwei Kameramenschen von der Berliner Polizei zum nahezu menschenleeren Mahnmal geführt wurde. Lange sollten sie dort alleine stehen.

Erst mit einer Dreiviertelstunde Verspätung gaben die Polizeibeamt:innen die Friedhofstore frei und fast zweihundert Menschen zogen schweigend zum Gedenkort – begleitet vom aggressiven Bellen der Polizeihunde. Wenige Dutzend Meter vor dem Denkmal stoppte die Berliner Polizei den Trauerzug erneut, um einen Zugang zu verhindern. Erst nach zähen Verhandlungen wurden einzelne durchgelassen. Wer zu jung war oder zu wenig offiziell aussah, eine Fahne trug oder bei Minustemperaturen Winterkleidung anhatte, wurde nicht durchgelassen. Zu den Ausgesperrten zählten Vertreter:innen von Opferverbänden aber auch unmittelbare Nachkommen von Menschen, die von den Nazis umgebracht wurden, wie beispielsweise Hans Coppi. Seine Eltern Hans und Hilde Coppi sind weithin bekannte Beispiele für einen couragierten Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Menschen, die ihre antifaschistischen Überzeugungen auch nicht im Angesicht des nationalsozialistischen Terrors verrieten und diese Kraft mit dem Tod bezahlten. Nach ihnen sind in der ganzen Republik Straßen, Plätze oder Institutionen, wie Schulen, benannt, weil ihr antifaschistisches Engagement ein Vorbild für unser Handeln heute sein sollte.

Das war am Morgen des 25.Januar 2020 nicht der Fall. Während hunderten Menschen ein würdiges Gedenken verwehrt wurde, konnten gerade die neuen Faschist:innen der AfD, die demokratische Werte aushöhlen und mit Ideologien der Ungleichwertigkeit Menschenleben gefährden, sich ungehindert den Raum nehmen. Jede Person, die zu diesem Trauerspiel der Demokratie beigetragen hat, sollte sich den Rest ihres Lebens schämen. Sie haben keine Lehren aus der Geschichte gezogen und das Andenken an die Opfer des Nationalsozialismus und ihre Nachkommen mit Füßen getreten. Zu ihnen möchte ich mich nicht zählen. Wenn das Engagement gegen einen rechtsautoritären backlash ein Hassverbrechen sein soll, dann verurteilen sie mich gerne als Hassverbrecher. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe nur denjenigen etwas vorzuwerfen, die so lange wegsehen und verharmlosen bis es zu spät ist.

Ich war im Übrigen in den Folgejahren ebenfalls rund um den 27. Januar auf dem Marzahner Parkfriedhof um gemeinsam mit anderen Antifaschist:innen zu gedenken– auch wenn aufgrund von Corona die offiziellen Veranstaltungen entfielen. Die AfD kam nicht mehr! Und das ist ein Erfolg, den uns keiner wegnehmen kann.