Redebeiträge und Zusammenfassung der Ferhat Mayouf Kundgebung

Veröffentlich am 01.08.2022

Redebeitag Recherche Team Death in Custody

Ich grüße euch alle im Namen der Recherchegruppe vom Kampagnenbündnis DEATH IN CUSTODY. Vor allem grüße ich auch die Gefangenen, die heute nicht hier mit uns stehen können! Wir alle sind auch für euch hier, weil uns nicht egal ist, was da drinnen passiert! Solidarische Grüße gehen auf jeden Fall auch raus an Kay, dem wir so viele Infos über den Tod von Ferhat verdanken und der sich aller Repressionen zum Trotz nicht einschüchtern lässt!

Wir haben in den letzten Jahren eine Dokumentation von Todesfällen in Gewahrsam in Deutschland angelegt, die vor allem diejenigen Todesfälle sichtbar macht, bei denen rassistische Hintergründe sich aufdrängen. Aktuell dokumentieren wir 210 solcher Todesfälle seit den 90ern Jahren. Ein Todesfall, der uns besonders beschäftigt hat, ist der von Ferhat Mayouf.

Durch unsere Genoss*innen von Criminals for Freedom haben wir vor zwei Jahren von dem Zellenbrand erfahren, der Ferhat Mayouf getötet hat. Ferhat war 38 Jahre alt und kam aus Algerien. Im Knast saß er, weil ihm ein Diebstahl vorgeworfen wurde. Im Vorfeld der Untersuchungshaft hatte er über schwere Depressionen geklagt und der zuständigen Richterin im Haftprüfungstermin gezeigt, dass er sich bereits selbst verletzt hatte. Er bat um Aufnahme in das Gefängniskrankenhaus. Doch sie halfen ihm nicht. Weder wurde er einem Arzt vorgeführt, noch in das Haftkrankenhaus eingewiesen. Nicht einmal ein Gespräch mit einer Psychologin oder einem Seelsorger haben sie ihm ermöglicht.

Stattdessen musste Ferhat zurück in seine Zelle, wo er 23 Stunden am Tag eingesperrt wurde. Drei Tage später brannte seine Gefängniszelle, die er nicht mehr lebend verlassen konnte.

Durch den Bericht seines Mitgefangenen Kay wissen wir, dass die Wärter*innen der JVA die Zellentür von Ferhat nicht geöffnet haben, obwohl sie wussten, dass es darin brennt. Obwohl sie wussten, dass Ferhat noch lebte und um Hilfe schrie.

Seinen Tod haben die Justizbehörden schnell als „Suizid“ gelabelt und die Ermittlungen nach wenigen Wochen eingestellt. Man hat ewig gewartet, ihn zu retten, aber keine Sekunde mit der Rechtfertigung dieser Schande und der üblichen Täter-Opfer-Umkehr gewartet.

Sie sagen, Ferhats Tod sei durch sein eigenes Verschulden entstanden, fahrlässige Tötung scheide aus. Diese Einordnung macht es den Behörden leicht, ihre Schuld am Tod von Gefangenen unter den Teppich zu kehren. Doch wir kaufen der JVA diese vorschnelle Suizid-Behauptung nicht ab; bei Ferhat Mayouf und auch bei allen anderen, die in Haftsituationen getötet werden, muss daran gründlich gezweifelt werden!

Wir gehen davon aus, dass es in einer totalen Institution, die das ganze Leben bestimmt, keine freie Entscheidung geben kann; auch nicht die, das eigene Leben zu beenden. Die Haftumstände wie zB die gezielte Isolation in der Einzelhaft – die auch Ferhat Mayouf erleiden musste – und die verschiedenen Formen der Erniedrigung und Gewalt sorgen vielmehr dafür, dass den Gefangenen systematisch der Lebenswille genommen wird. Das ist eine Erkenntnis unserer Genossin in der Recherche-AG der Kampagne Death In Custody; eine Erkenntnis, die nicht aus Büchern stammt, sondern aus Blut und Tränen in Verbindung mit dem Tod ihres haftunfähigen Bruders, dem ebenfalls in der JVA-Tegel die Fürsorge verweigert wurde und der in den die Institution in der Einzelisolation hat verrecken lassen. Ihr Bruder, Ferhat und so viele im Knast sind besonders oft von Risikofaktoren wie Armut und psychischen Erkrankungen betroffen.

Doch anstatt in medizinische und psychologische Betreuung erkrankter Gefangener zu investieren, oder, noch besser: fernab vom Knastsystem soziale Lösungen für soziale Probleme zu finden, stattet man die sogenannten Sicherheitsbehörden mit noch mehr Waffen und Befugnissen aus. Die teure Polizeiwache am Kotti ist nur ein Symptom dieses Problems.

Knäste machen die Gefangenen dann noch zusätzlich psychisch kaputt. Knäste isolieren Menschen von der Gesellschaft. Knäste foltern und sie töten. Unter Knastumständen kann deshalb niemals von einem sog. Selbstmord die Rede sein, auch nicht im Fall von Ferhat Mayouf.

Abgesehen davon sollte man sowieso misstrauisch werden, wenn es die Justizbehörden sind, die nach dem Tod eines Menschen von Selbsttötung ausgehen. Schließlich wird bis heute sogar der Tod von Oury Jalloh, der 2005 an Händen und Füßen gefesselt angezündet wurde, in der öffentlichen Darstellung als „Suizid“ gelabelt. Doch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hat längst klargemacht: Diese Selbstanzündungs-These kann nicht stimmen. Es ist davon auszugehen, dass Dessauer Polizist:innen Oury Jalloh ermordeten und seinen Leichnam verbrannten, um schwere Misshandlungen an ihm zu vertuschen.

Fest steht: Die Justiz hat Blut an ihren Händen. Nicht nur der Tod in Gewahrsam hat System, auch der Tod durch Zellenbrand hat System.

Wir gedenken heute Ferhat Mayouf. Wir gedenken Oury Jalloh. Wir erinnern an Amed Ahmad, der 2018 vermeintlich wegen einer Verwechslung in der JVA Kleve saß und durch einen Zellenbrand getötet wurde. Niemand half ihm, er wurde nur 26 Jahre alt.

Kein Vergeben – kein Vergessen!

Wir stehen fest an der Seite der Angehörigen von Ferhat Mayouf in ihrem Kampf für Gerechtigkeit, wir fordern endlich Aufklärung der Todesumstände, Konsequenzen für die Verantwortlichen und endlich Schluss mit der rassistischen und tödlichen Staatsgewalt!

NO JUSTICE NO PEACE


Übersicht
Criminals for Freedom (S.2)
Kay Schedel (S.3)
Women in Exile en francais und in deutsch (S.4)
Redebeitag vom Recherche Team Death in Custody (S.5)
Beiträge der Moderation zu Marcel, Hussam Fadl und Beate F. (S.6)
Redebeitrag von Ihr seid keine Sicherheit (S.7)
Redebeitrag der Roten Hilfe Berlin (S.8)
Redebeitrag von Free Mumia Berlin (S.9)
Aufruf für die Kundgebung „Gerechtigkeit für Nzoy!“ (S.10)

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