Am 02.05.22 wurde in Mannheim ein Psychiatriepatient von Polizisten mit Pfefferspray angegriffen, fixiert und geschlagen, woraufhin er kollabierte und noch am selben Tag starb. Am 10.05.22 gab es in Mannheim einen weiteren Todesfall durch Polizeigewalt. Diesmal wurde ein 31jähriger Mann ins Bein geschossen, der sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand und sich schon zuvor selbst verletzt hatte. Er verstarb in seiner eigenen Wohnung.
In Deutschland sind seit 1990 über 300 Menschen von der Polizei erschossen worden1, mindestens 209 von Rassismus Betroffene verloren im Gewahrsam und durch Einsätze ihr Leben2 und seit 1993 sind über 670 Menschen an der rassistischen Flüchtlingspolitik und beispielsweise an den Folgen von Abschiebungen gestorben3.
Die Polizei soll den gesellschaftlichen Status Quo aufrechterhalten. Sie schützt beispielsweise Grenzen vor Flüchtlingen oder eine Oberschicht vor der Anwesenheit sichtbarer Armut. Vor allem schützt sie das Eigentum als Grundlage der Ausbeutung und sie hält radikale politische Proteste klein. Dabei nutzt die Polizei ein autoritäres Auftreten und ein Arsenal an unterschiedlichen Waffen und Gesetzesgrundlagen. Hinzu bekommt sie noch Rückendeckung durch die Presse, die unkritisch nur ihre Sichtweise auf Konflikte verbreitet, und die Justiz, die Gewalt ausübende Beamten stets freispricht.
Eine wirkliche Aufarbeitung von Polizeigewalt findet nicht statt. Deshalb müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Nur hinter den wenigsten Todesfällen gibt es Initiativen aus Angehörigen, Freund:innen und Genoss:innen, die über Jahre hinweg für Gerechtigkeit kämpfen. Am bekanntesten ist der Fall von Oury Jalloh, der 2005 im Polizeirevier Dessau-Süd verbrannt wurde und dessen uniformierte Mörder heute noch frei herumlaufen.
Tödliche Polizeigewalt wird von den Behörden als bedauerlicher Einzelfall dargestellt, als eine Art gesellschaftlicher Kollateralschaden. Eine Einmischung oder Kontrolle von außerhalb werden nicht geduldet.
So auch in dem jüngsten Mannheimer Fall. Baden-Württembergs Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz lehnt klar eine externe Ermittlungsstelle ab, die besonders umstrittene Polizeieinsätze aufklären soll. Sie sehe da keinen Mehrwert4. Außerdem soll der 31jährige nach den Ergebnissen der Obduktion nicht an dem Schuss gestorben sein. Offiziell gilt als Todesursache ein hoher Blutverlust infolge seiner Selbstverletzungen5.
Das soll wohl heißen, der polizeiliche Schuss ins Bein habe ihm letztlich nicht geschadet. Eine makabre Sichtweise. Ausgeblendet wird dabei die zentrale Frage, ob es angemessenen ist, dass mehrere bewaffnete Beamte in eine Wohnung eindringen, um eine akute psychische Krise zu bewältigen. Der Gebrauch von Pfefferspray und gar der Schusswaffe – euphemistisch als „unmittelbarer Zwang“ bezeichnet – sind keine geeigneten Mittel, einen sich selbst verletztenden Menschen zu beruhigen.
Viele gewaltsame Polizeieinsätze könnten leicht vermieden werden. Zum Beispiel durch bundesweite Einrichtung einer alternativen Notfallnummer für Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Darüber sofort erreichbares, fachlich ausgebildetes Personal könnte Konflikte direkt vor Ort mit Feingefühl und Empathie lösen, statt mit eskalierender Gewalt. Externe Ermittlungsstellen mit umfassenden Kompetenzen könnten unbefangen von Korpsgeist Einsatzfehler aufarbeiten und eine individuelle Verantwortlichkeit wiederherstellen und so zur Entwicklung alternativer Vorgehensweisen beitragen.
Freiwillig werden Polizei und Justiz ihre Praxis sicher nicht ändern. Dies wird, wenn überhaupt, nur als Folge eines vielfältigen und langfristigen Drucks von außen geschehen, durch Recherche und Öffentlichkeitsarbeit, durch alltägliche Einmischung bei Kontrollen, durch die Verhinderung von Abschiebungen usw. Wenn wir die Gewalt der Polizei nicht mehr hinnehmen wollen, müssen wir ihr in ihrer jetzigen Form die Daseinsberechtigung absprechen und für ihre Abschaffung kämpfen.
NO JUSTICE NO PEACE – FIGHT THE POLICE
Quellen:
1https://polizeischuesse.cilip.de/
2https://doku.deathincustody.info/
3https://www.ari-dok.org/webdokumentation/
4https://www.sueddeutsche.de/panorama/polizei-mannheim-hinz-gegen-ermittlungsstelle-fuer-umstrittene-einsaetze-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220512-99-253079
5https://www.mannheim24.de/mannheim/polizei-einsatz-mannheim-waldhof-mann-tod-marktplatz-lka-stellungnahme-ermittlung-91538036.html