Rund 200 Menschen haben sich am 28.02.21 am Oranienplatz vor dem Denkmal für die Opfer von Polizei und Rassismus versammelt. Dabei wurde nicht nur an den verstorbenen gedacht, sondern auch die Systematik rassistischer tödlicher Polizeigewalt offen gelegt. Erst kürzlich in Delmenhorst, verstarb Qosay K. in polizeilicher Gewahrsam. Das darf nicht so hingenommen werden. Wir veröffentlichen hier nachträglich unseren Redebeitrag.
„Liebe Genoss*innen,
ich grüße euch im Namen der Roten Hilfe Berlin!
Wir versammeln uns hier heute, um den unzähligen Menschen zu gedenken, welche durch rassistische Polizeigewalt ums Leben gekommen sind.
Erinnern bedeutet nicht nur, sich Ereignissen, Namen und Menschen gewahr zu bleiben, sondern erinnern bedeutet auch kämpfen. Die Angehörigen und Freund*innen der Opfer vom Attentat in Hanau fordern zurecht dazu auf, dass die Namen ihrer Liebsten nicht in Vergessenheit geraten, denn erinnern heißt auch verändern.
Eine Welt ohne Rassismus und Polizeigewalt scheint in weiter Ferne, doch nicht unmöglich.
Mit diesem Bewusstsein wollen wir dafür kämpfen, dass es keine weiteren Todesopfer durch die Polizei mehr geben wird! Die genauen Umstände dieser vielen Todesfälle sind oft unklar. Die Polizei nutzt ihre Deutungshoheit in den Medien, um sich von jeglicher Verantwortung freizusprechen. So werden Todesfälle in polizeilichem Gewahrsam als Suizide zur Akte gelegt oder die Nutzung tödlicher Waffen wird mit einer „unausweichlichen Notwehrsituation“ gerechtfertigt.
Wir verdanken es der kontinuierlichen Arbeit von Angehörigen und Freundinnen der Verstorbenen, sowie Aktivistinnen und solidarischen Journalistinnen, dass viele Menschen und deren Tod nicht in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig wird immer wieder auf erschreckende Weise deutlich, wie sehr der Staat und die Justiz kein Interesse an vollständigen Aufklärungen haben, sondern Morde aktiv vertuschen. Nur durch die stetigen und jahrelangen Bemühungen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh konnte beispielsweise der Mord an diesem belegt werden. Die Mörderinnen und Mittäter*innen haben leider immer noch keine Konsequenzen zu befürchten…
In Berlin wurde Hussam Fadl 2016 von Bullen erschossen und im Jahr 2020 verbrannte Ferhat Mayouf in seiner Gefängniszelle im Knast Moabit.
Auch hier können wir uns dank der fortführenden Aufklärungsarbeit von Familienangehörigen und Genoss*innen an die Namen erinnern. Die Death-in-Custody-Kampagne zählt seit 1990 180 Todesfälle von Illegalisierten, von Geflüchteten und von People of Colour in Knästen und Polizeigewahrsam. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein, besonders wenn die Opfer von Abschiebungen und illegalen Push-Backs an den Außengrenzen dazugezählt werden.
Jeder Todesfall in Knästen oder Polizeigewahrsam ist einer zu viel!
Die Kampagne fordert daher: Aufklärung und Konsequenzen für alle Todesfälle in Gewahrsam und die Etablierung von effektiven Schutzmechanismen um weitere Tote zu verhindern!
Es ist notwendig und wichtig, die Polizei, die Justiz und den Staat in die Verantwortung zu nehmen, doch wissen wir alle nur zu gut und aus zu vielen Beispielen, dass die verschiedenen Institutionen in ihren jetzigen Formen keine Konsequenzen daraus ziehen werden.
Die Politik ist nicht willens, das Attentat von Hanau oder die Anschläge des NSU aufzuklären, da so eigenes Versagen und Mitschuld vertuscht werden können. Was können wir an Aufklärung erwarten, wenn die staatlichen Repräsentantinnen selbst auch Täterinnen sind?
Der Staat wird seine Organe und Akteur*innen nicht anklagen, sondern weiter schützen und so einer ernsthaften Aufklärung im Wege stehen, während Verstorbene weiter kriminalisiert werden!
Solange Polizei und Justiz in ihrer jetzigen Form bestehen bleiben, werden Todesfälle weiter systematisch verdeckt aber vor allem auch ermöglicht werden!
Rassistische Bullen sind ein ernstzunehmendes Problem und ganz bestimmt keine Randerscheinung. Sie werden jedoch nicht aktiv aus den Repressionsorganen ausgeschlossen, sondern können sich im Gegenteil sehr sicher fühlen. Sie können ihre autoritären Charakterzüge, den Glauben an strikte Hierarchien und ein gefährliches Kameradschaftsgefühl ohne externe Kontrollinstanzen ausleben. Bullen werden mit Waffen und Gesetzen ausgestattet um Gewalt anzuwenden. Die daraus entstehende Polizeigewalt ist kein Zufall, sondern klares Produkt dieser Praxis. Sie dürfen und sollen Jugendliche drangsalieren, Obdachlose von öffentlichen Plätzen verdrängen, Menschen mit psychischen Krisen mit Gewalt ruhig stellen und die tödlichen europäischen Außengrenzen aufrecht erhalten.
Wer von Polizeigewalt spricht, darf bei Rassismus, bei Abschiebungen, zu Kapitalismus oder zu Gentrifizierung und der Stigmatisierung ganzer Menschengruppen nicht schweigen!
Die Reaktion von uns allen, die wir uns heute hier versammelt haben und von allen nicht anwesenden Genoss*innen kann daher nur sein, gemeinsam radikale Veränderungen bei den staatlichen Institutionen zu erzwingen und dabei eine langfristige solidarische Perspektive zu entwickeln.
Ob auf der Straße, ob durch Recherche- und Pressearbeit oder durch zivilen Ungehorsam und mit Hilfe anderer Aktionen – der Druck kann und muss weiterhin vielfältig bleiben!
Als Rote Hilfe Berlin wollen wir an alle Genossinnen appellieren, sich nicht spalten zu lassen. Ob bei öffentlicher Kritik an Aktionsformen oder bei solidarischer Kritik an politischen Inhalten – wir dürfen unsere Gefährtinnen und Mitstreiterinnen nicht alleine lassen! Wir müssen als emanzipatorische linke Bewegung zusammenhalten gegen die staatliche Repression und gegen Diffamierungen und versuchte Spaltungen durch Gerichte und Presse in vermeintlich „gefährliche“ und „gute“ Demonstrantinnen und Aktivistinnen. Lassen wir uns nicht von Staat gegeneinander ausspielen! Lasst uns vereint gegen Polizeigewalt und gegen Rassismus kämpfen! Tun wir alles dafür, damit die Verstorbenen nicht in Vergessenheit geraten, Ihre Angehörigen und Freundinnen nicht alleine gelassen werden und vor allem –
lasst uns alles Mögliche tun, um weitere Todesfälle zu verhindern!
In Gedenken bei all den Opfern von Polizeigewalt.
Ich danke euch„
Den Aufruf von Death in Custody findet ihr hier: https://deathincustody.noblogs.org/post/2021/02/18/kundgebung-am-28-02-in-gedenken-an-die-opfer-rassistischer-polizeigewalt-die-polizei-beendet-keine-konflikte-sondern-leben/