Unser Redebeitrag auf der Antifa-Kundgebung am 08.08.2020 in Hennigsdorf
Liebe Freund*innen und Freunde.
Für uns als Antifaschistinnen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher politischer Hintergründe war die heutige Aktion der Nazis von Anfang an nicht hinnehmbar. Die Gesichter ausgemachter Kriegsverbrecherinnen und Antisemit*innen dienen auf den Flyern für die heutige Nazikundgebung als Werbeträger und obendrein instrumentalisieren sie den »Tag des Politischen Gefangenen« für ihr Vorhaben, Altnazis zu ehren.
Für uns heißt das konkret:
(1) Dass wir die Antifaschist*innen aus Hennigsdorf durch eine gemeinsame Anreise aus Brandenburg und Berlin unterstützen.
- Wir sind heute mit ca. 80 Menschen angereist!
- Insgesamt 16 Initiativen haben unseren Aufruf unterschrieben
(2) Dass wir einen spontanen Aufmarschversuch der Nazis stören.
(3) Dass wir nicht zulassen werden, dass die Nazis linke Geschichte für ihre Zwecke entfremden.
(4) Dass die Nazis nicht das Andenken an die Ermordeten schänden!
Um unser Anliegen, nämlich linke Geschichte nicht den Nazis zu überlassen, umzusetzen, haben wir diesen Text verfasst. Es geht uns zum einen darum darzulegen, was es mit dem „Tag des politischen Gefangenen“ eigentlich auf sich hat. Und zum anderen geht es uns darum noch einmal mit aller Deutlichkeit herauszuarbeiten, wer genau die Personen sind, welche die Nazis heute würdigen wollen.
Der „Tag des politischen Gefangenen“
Der 18. März erinnert an den Aufstand der Pariser Kommune vom 18. März bis zum 28. Mai des Jahres 1871, sowie an ihre Zerschlagung und die darauf folgende Repression. Mehr als 30.000 Menschen wurden im Zuge der »blutigen Maiwoche« ermordet und über 40.000 Menschen in französischen Gefängnissen inhaftiert. Der 18. März wird seitdem als Tag der Pariser Kommune bezeichnet. 1923 erklärte ihn die Internationale Rote Hilfe zum »Internationalen Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen«. Die Rote Hilfe ist eine linke, strömungsübergreifende Solidaritätsorganisation, die Menschen finanziell und juristisch unterstützt, die beispielsweise im Zuge von Streiks oder Protesten Repression erfahren. Die Rote Hilfe der 30er Jahre war eine Organisation aus der Arbeiterinnenschaft für die Arbeiterinnenschaft und spielte eine wichtige Rolle im Widerstand gegen den deutschen Faschismus. Nachdem viele der aktiven SPD- und KPD-Mitglieder verhaftet wurden, half die Rote Hilfe den Familien der Gefangenen mit Geld, Lebensmitteln und anwaltlicher Unterstützung.
Von 1924 bis 1929 finanzierte die Rote Hilfe Rechtsschutz und Unterstützung für 27.000 Personen und 16.000 Inhaftierte in Höhe von 4 Millionen Reichsmark.
1932 waren es 9.000 politische Häftlinge, 20.000 Familienangehörige und 50.000 Linke mit Ermittlungsverfahren und Prozessen.
Es waren gerade die Frauen in der Roten Hilfe, die hier einen wichtigen Teil dieser Arbeit leisteten. Es gab auch viele Verhaftungen linker Frauen; oft wurden sie jedoch als aktiver Teil der Widerstandsstrukturen unterschätzt. Sie waren es, die diesen Umstand nutzten, um zum Beispiel Flugblätter, im Wäschekorb versteckt, an die Genoss*innen zu verteilen oder Mitgliedsbeiträge der Roten Hilfe einzusammeln.
Die Rote Hilfe konnte von der Gestapo nur langsam aufgerollt werden, da ihre Arbeit im Gegensatz zu der der linken Parteien, nicht so sehr auf Öffentlichkeit ausgelegt war. Somit überstanden viele Zellen der Roten Hilfe die ersten Verhaftungswellen, was die Organisation innerhalb linker Arbeiter*innenmileus zur zweiten Reihe im Kampf gegen die Nazis machte.
Trotz Dominierung durch die KPD, vereinte die Rote Hilfe Deutschland auch viele unorganisierte Arbeiterinnen, Anarchistinnen und Sozialdemokratinnen in ihren Reihen. Viele bekannte Personen der liberalen bis radikalen Linken standen der Organsiation nahe oder waren selbst Mitglied. Die bekannte Sozialistin und Feministin Clara Zetkin war ab 1925 Leiterin der Roten Hilfe. Zu ihren Unterstützerinnen zählten Wissenschaftlerinnen wie Albert Einstein, Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz, oder Literaten wie Thomas Mann, Kurt Tucholsky und
Erich Mühsam. Mühsam selbst hatte Jahre in bayrischer Festungshaft verbracht, weswegen er, trotz aller Widersprüche, eng mit der Rote Hilfe Deutschland verbunden blieb und mit ihr zusammen immer wieder die Freilassung politischer Gefangener unterstützte. Nicht weit weg von hier im ehemaligen KZ Sachsenhausen ermordeten ihn die Nazis.
Die Rote Hilfe Deutschland war eine der größten, strömungsübergreifenden linken Massenorganisationen der damaligen Zeit. 1933 zählte sie insgesamt 530.000 Mitglieder. Wie viele andere antifaschistische Organisationen und Parteien wurde die Rote Hilfe von den Nazis 1933 verboten.
Erst lange nach dem Ende des deutschen Faschismus, im Jahr 1975, wurde sie neu gegründet und die alte Idee eines gemeinsamen Tages für die politischen Gefangenen wieder aufgegriffen. Dies geschah 1996 durch Libertad und die Rote Hilfe. Seit dem wird sich an diesem Tag mit linken politischen Gefangenen solidarisiert und die Repression beispielsweise gegen Antifaschistinnen zum Thema gemacht.
Verehrung lupenreiner Nazis
Um die Nähe zum 18. März herzustellen, sollte der von Neonazis organisierte nationale »Tag des politischen Gefangenen« wie in den letzten zwei Jahren im März stattfinden. Dass die rechte Propagandashow nach dem Lockdown nun am 8.8. stattfinden soll, steht dieser Veranstaltung sehr gut zu Gesicht. Der Zahlencode 88 steht unter Neonazis für die Parole »Heil Hitler!« (88 = HH). Und nichts anderes als eine »Heil Hitler!«-Kundgebung ist es,was uns in Hennigsdorf erwartet. Ein Blick auf die Flugblätter mit denen für die Aktion geworben wird, macht deutlich, wohin die Reise inhaltlich an diesem Tag gehen wird. Geworben wird mit den Gesichtern von Ursula Haverbeck, Erich Priebke und Julian Assange. Die 92-jährige Haverbeck ist ein Urgestein der deutschen Nazibewegung. Sie war Mitglied zahlreicher Naziorganisationen vor und nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Die Liste dieser Organisationen ist mindestens genau so lang wie die Liste der Gerichtsprozesse, in denen sie sich wegen Volksverhetzung verantworten musste. Nicht nur Haverbeck ist eine knallharte Holocaustleugnerin, sie ist auch aktives Mitglied im »Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten« (VRBHV). Mit Größen dieser Szene, wie Ernst Zündel war und ist sie per Du. Seit 2018 sitzt sie in Bielefeld in Haft. Bei Erich Priebke handelt es sich um einen verurteilten Kriegsverbrecher. Hennigsdorf ist sein Geburtsort, weshalb seiner Person unter Nazis in der Region ein gesteigerter Identifikationswert zukommt. 1998 war Priebke zu lebenslanger Haft verurteilt worden, da er am 4. März 1944 in Rom die Hinrichtung von 335 Menschen maßgeblich geleitet hatte. Er beteuerte immer wieder nichts zu bereuen und gefiel sich in dieser Rolle, was ihm in der extremen Rechten einen hohen Kultstatus verlieh. Passend dazu haben die Neonazis für ihre Kundgebung ein Banner vorbereitet, welches die Losung »Ich bereue nichts« trägt. Hierbei handelt es sich um ein Zitat des Hitlerstellvertreters Rudolf Heß. Dieser war aktiv an der Judenvernichtung beteiligt und sagte während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse: »Ich bin glücklich zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe […] als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts.« Warum ausgerechnet auf zwei Nazis Bezug genommen wird, die schon lange nicht mehr im Knast sitzen, ganz einfach weil sie schon seit Jahren tot sind, ist klar. Es geht darum ihnen als Märtyrer zu huldigen und die von ihnen begangenen Taten zu verherrlichen! Dass ausgerechnet Wikileaksgründer Julian Assange in einer Reihe mit diesen knallharten Antisemitinnen aufgeführt wird, ist ein offensichtlicher und zugleich billiger Propagandatrick. Die Abbildung von Assange soll der Veranstaltung eine gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und Legitimität verleihen, die mit alten Naziknochen wie Haverbeck und Priebke nicht zu machen ist. Assange hat Staatsgeheimnisse gelüftet, welche für die politischen Eliten unangenehm waren. Holocaustleugnerinnen sollen durch diese Nebeneinanderstellung ebenfalls zu Geheimnisträgerinnen verklärt werden, die uns etwas wichtiges zu sagen hätten und die zu unrecht Sanktionen erfahren. Nazis und deren Freilassung sollen dadurch legitimiert werden. Ein Brief den 2009 Charlotte Knobloch (damalige Präsidentin des Zentralrats der Juden) von Ursula Haverbeck erhielt, macht deutlich, wie sich die Nazis das mit der Wahrheitsfindung so vorstellen.: »Bereiten Sie sich auf den Tag der Wahrheit vor. Er ist nahe und nicht mehr aufzuhalten« und »Machen Sie so weiter wie bisher, dann könnte sich ein neues Pogrom ereignen, das entsetzlich würde.«
Antifaschistisches Gedenken und linke Geschichte verteidigen
Es ist nicht hinnehmbar, dass Anhängerinnen des Nationalsozialismus öffentlich auftreten. Es ist nicht hinnehmbar, dass sie ihre Hetzreden bei einem Mahnmal halten, welches an die ermordeten Zwangsarbeiterinnen erinnert, die hier in den Außenlagern der KZs Sachsenhausen und Ravensbrück ermordet wurden. Und es ist ebenfalls nicht hinnehmbar, dass die Nazis den »Tag des politischen Gefangenen« für ihre Zwecke missbrauchen. Die Geschichte der Pariser Kommune bleibt durch den »Tag des politischen Gefangenen« am 18. März nicht lediglich als Erinnerung an eine Niederlage im Gedächtnis der globalen Linken haften, sondern belebt die Geschichte eines basisdemokratischen Aufbruchs. Der Aufstand der Pariser Kommune war ein Aufstand der Armen gegen die Besitzenden, ein Aufstand für ein Leben in Würde und Gleichberechtigung. Die Rechten stehen der Idee einer solchen Welt, also einer freien Welt, diametral entgegen.
Lasst uns darum zusammenstehen:
- für ein Leben in Würde und Freiheit!
- gegen die Nazis und ihre menschenfeindliche Ideologie!
Alle zusammen gegen den Faschismus!