Kurdische Frauenrechtlerin muss in Berlin als mutmaßliches PKK-Mitglied vor Gericht. Ein Gespräch mit Lukas Theune (junge Welt vom 25.10.2019)
Interview: Gitta Düperthal
An diesem Freitag beginnt vor dem Kammergericht Berlin der Prozess gegen die Kurdin Yildiz Aktas nach Paragraph 129b des Strafgesetzbuchs. Der Vorwurf lautet auf Mitgliedschaft in einer »ausländischen terroristischen Vereinigung«. Als solche gilt die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, in der BRD. Ein Prozess wird eröffnet, wenn das Bundesjustizministerium eine Verfolgungsermächtigung erteilt . Was wird Aktas vorgeworfen?
Yildiz Aktas wird beschuldigt, sich von Sommer 2013 bis Winter 2014 als PKK-Mitglied strafbar gemacht zu haben. Sie soll Veranstaltungen organisiert, sich an Demonstrationen beteiligt haben und ähnliches. Zuvor hatte sie sich jahrzehntelang als feministische kurdische Politikerin in der Türkei für Frauenrechte eingesetzt. Somit wird hier gezielt eine Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung wegen Mitgliedschaft in der PKK in den Fokus von Ermittlungen genommen.
Beziehen sich die Ermittlungsbehörden auch darauf?
Ja. Das Bundeskriminalamt beschreibt explizit, dass es in PKK-Gremien Doppelspitzen aus jeweils einem Mann und einer Frau gibt. Wird Yildiz Aktas verurteilt, ist zu befürchten, dass es weitere kurdische Frauenrechtlerinnen trifft. In ihrem Fall hat das Bundesjustizministerium im Mai eine Einzelermächtigung erteilt, um sie vor Gericht zu stellen. Ich habe am Montag einen Antrag an die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, SPD, gestellt, diese Ermächtigung sofort wieder zurückzunehmen. Zu konstatieren ist, dass in Deutschland nach wie vor nicht türkische Kriegsverbrecher, sondern Folteropfer aus der Türkei wie Yildiz Aktas verfolgt werden. Dies ist besonders vor dem Hintergrund des Krieges skandalös, den die Türkei gegen Kurdinnen und Kurden in Nordsyrien führt und den die Bundesregierung als völkerrechtswidrig betrachtet. Es darf ja wohl nicht wahr sein, dass die Opposition gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hier vor Gericht gestellt wird.
Was ist eigentlich in diesem Ministerium los?
Das interessiert mich auch. Lambrecht hat sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch zu Erdogan geäußert. Mein Schreiben ist an sie persönlich gerichtet; ich hoffe, dass es ihr vorliegt.
Wie erklären Sie sich, dass die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden mit dem Terrorismusvorwurf auch hier kein Ende findet, während die türkische Armee in Nordsyrien mit Dschihadisten kooperiert und Kriegsverbrechen begeht?
Genau diese Frage stelle ich. Sie muss an die Ermittlungsbehörden und das Justizministerium gerichtet werden. Es scheint eine politische
Entscheidung zu sein, dass die Bundesregierung einerseits auf politischen Druck der Öffentlichkeit hin die Türkei zwar scharf kritisiert, andererseits aber weiter kooperiert. Erdogan will die Opposition auch in Deutschland verfolgt sehen, was er bei jedem bilateralen Treffen in Deutschland erneut verdeutlicht. Die Bundesregierung verwahrt sich dagegen, macht es aber trotzdem. Meiner Meinung nach ist das unvereinbar. Die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden ist zu beenden.
Was ist zu Aktas’ Vorgeschichte zu sagen?
Im Alter von zwölf Jahren wurde sie nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 als jüngste weibliche Gefangene in Diyarbakir eingesperrt
und gefoltert. Ihr mutiges Eintreten in verschiedenen Oppositionsparteien für Demokratie und Frauenrechte führte in der Türkei zu Festnahmen, Inhaftierungen und Strafverfahren. Deshalb floh sie 2013 nach Deutschland und erhielt Asyl.
War Aktas hierzulande inhaftiert?
Sie wurde am 9. April 2018 mit Haftbefehl festgenommen und verbrachte drei Monate in Haft. Beim Haftprüfungstermin konnten wir darlegen, dass
keine Fluchtgefahr besteht und die Untersuchungshaft sie aufgrund ihrer Geschichte hart trifft. Eine erneute Inhaftierung könnte aufgrund der erlebten Folter in der Türkei eine Retraumatisierung auslösen. Eine Psychotherapeutin erklärte mir, dass frühe Erfahrungen physischer und sexualisierter Gewalt bei erneuter Haft wieder ins Gedächtnis kommen und zu Angst- und Schlafstörungen führen können.
Wie kann man sie unterstützen?
Indem viele Frauen zum Prozess kommen und zeigen, dass sie solidarisch sind.