Hi Alex,
Wir erfahren hier natürlich von den Geschehnissen rund um die Rigaer und freuen uns über die positiven Nachrichten und Kritik von seitens der Medien.
Bedank‘ dich bitte herzlichst in meinem Namen für die ganze soli-Arbeit bei den Beteiligten und dank für dein Schreiben!
Aber nicht nur von draussen gibt es Solidarität. Auch im Knast werden wir gut behandelt und uns wird ggf. weitergeholfen.
Ich bin zum ersten Mal im Bau und es ist für mich schon sehr interessant zu beobachten wie Menschen denen unnötig die Freiheit genommen wird auf Jahrtausende alte gesellschaftliche Muster zurückfallen: Kein Geld bedeutet zwingend das Entstehen eines Tauschsystems (wie bis Heute in vielen Regionen der Welt üblich und im politischen Kontext meines Wissens nach erstmals von Proudhon ausformuliert); Kein Garnichts bedeutet Solidarität von deiner Community – ob nun Sprache, Kultur oder Herkunft die Brücke baut ist hier dabei egal. Man könnte dazu evntl. eine nette sozialanthropologische Arbeit verfassen, aber das sprengt dann doch den Rahmen dieses Schreibens und ist nicht mein Fachgebiet.
Ich selbst bin schon lange in der IT tätig und beschäftige mich zzt. unter anderem (grösstenteils ebenfalls unentgeltlich) mit der Sicherheit von Internetprotokollen und Verschlüsselung. Dies ist, neben gewöhnlicher Arbeit als IT-Consultant, auch der Grund für meinen Aufenthalt in Berlin und mein Herz blutet das ich durch die U-Haft nicht an der bevorstehenden IT-Konferenz nächste Woche teilnehmen kann. Meine Zeit wäre damit wohl besser aufgehoben als mit dem Lesen von Weltliteratur und dem einzigen vernünftigen Buch über Politik, dass ich in ~ 800 Seiten Index der Anstaltsbücherei ausfindig machen konnte.
Mir gehts gut und ich führe jede Menge interessante Gespräche. Aber man muss schon feststellen: Knast ist nicht nur fragwürdiger Freiheitsentzug sondern auch Ausbeutung. Essen das man auf Wunsch bestellen kann liegt über den Marktpreisen, Arbeiter verdienen 4-6 Euro am Tag (!) und das Telefonsystem (Telio) ist unverschämt teuer, sodass mein € 5,- Guthaben nach den ersten ~ 10 Minuten Gespräch ins Deutsche Mobilnetz aufgebraucht war. Und dann erst die unnütze Knastbürokratie: Anträge für Anträge ausfüllen, um 6:20 abgeben oder nen Tag warten.
Auf nen‘ Termin beim Arzt/ der Ärztin warte ich nun auch schon fast ne‘ Woche. – Rat der Justizangestellten: noch ein Antrag wegen Dringlichkeit. Kann man eigentlich nur drüber lachen. Wo notwendig und gewollt helfen wir hier mal mit Infos. zu Geschichte und Politik nach. 😉
Arbeiten kann ich im Bau kaum da ich in der U-Haft keinen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und News habe und die Mathebücher der Anstaltsbibliothek gehen selten über Grundschulniveau hinaus (drei fand ich dann doch – waren aber nicht verfügbar, was mich wundern lässt wer sonst in der JVA über „Gruppentheorie” liesst – wäre ein interessantes Gespräch.).
Die Gedanken sind frei,……
Mit besten Grüssen, Freundschaft!
Aaron