Nach fast 30 Prozesstagen geht Schubis Verhandlung dem Ende entgegen. Am 25. April wurden die Schlussplädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre und neun Monate Haft, Schubis Verteidigung einen Freispruch. Ein Urteilsspruch könnte bereits am 28. April folgen.
Auch ohne Totschlag: Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre und neun Monate Gefängnis
Die Staatsanwaltschaft hält Schubi – bis auf zwei Ausnahmen – in allen Anklagepunkten der versuchten und vollendeten gefährlichen Körperverletzung, des schweren Landfriedensbruch und Verstößen gegen das Vermummungsverbot für überführt. Die zwei Ausnahmen betreffen zum einen den bisherigen Vorwurf des versuchten Totschlags, der nach Willen der Anklage zur gefährlichen Körperverletzung heruntergestuft werden soll. Zur Erinnerung: Der geschädigte Polizist von der BFE M-V hatte lediglich eine leichte Rippenprellung und angeblich auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) davon getragen. Diese hatte ihm der zuständige Polizeiarzt, ein Allgemeinmediziner, vor Gericht bescheinigt. Trotzdem will die Staatsanwaltschaft Schubi allein für diese Tat drei Jahre hinter Gitter schicken. Die zweite Abweichung von der Anklageschrift betrifft einen der leichteren Steinwürfe, die Schubi zur Last gelegt werden. Hier habe der Prozess keinen Zusammenhang zwischen dem Wurf und der vom Polizisten präsentierten Verletzung (ein roter Fleck) ergeben, weshalb «nur» eine versuchte gefährliche Körperverletzung in Frage komme.
Aus mehreren Einzelstrafen ergebe sich somit die geforderte Gesamtstrafe von vier Jahren und neun Monaten, zudem soll Schubi die Kosten des Verfahrens und die Kosten des Nebenklägers (dem angeblichen PTBS-Polizisten) tragen. Die lange U-Haft Schubis und die lange Verfahrensdauer seien strafmildernd berücksichtigt worden, während die Art der Tatausführung und die Vielzahl der Vorwürfe strafverschärfend bewertet wurden, sagte der Staatsanwalt weiter.
Ein verrückter Zeuge und wenig belastbare Gutachten
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft und wahrscheinlich auch des Gerichts gründet sich dabei – vereinfachend gesagt – auf zwei Themenkomplexe:
- mehrere anthropologische Gutachten, in denen Schubis Körpermerkmale, Proportionen, Laufstil usw. mit den Aufnahmen von vermummten Tätern von Polizeivideos verglichen wurden
- den Aussagen des Hauptbelastungszeugen Thomas C., einem ehemaligen Mithäftling Schubis.
Selbstverständlich ist die Staatsanwaltschaft der Meinung, dass die Gutachten Schubis vermeintliche Täterschaft belegt hätten und Thomas C., der von einer psychologischen Gutachterin als «pathologischer Lügner» bezeichnet wurde, glaubwürdig sei.
in den anthropologischen Gutachten konnte die Sachverständige Wittwer-Backofen bei der Betrachtung der Aufnahmen mit vermummten Tatverdächtigen nur Merkmalsübereinstimmungen mit geringer Wertigkeit finden. Übersetzt bedeutet dies, dass sie keine Merkmale finden konnte, die Schubis Identität mit den Vermummten ausschließen würden, aber auch keine, die eine Identität mit hoher Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit belegen würden. Die von ihr gefundenen Merkmale erreichten regelmäßig nur die zweitschlechteste Kategorie – schlechter wäre nur noch die Kategorie «Identität ausgeschlossen».
Eigentlich sollte hier nun der Grundsatz in dubio pro reo greifen, doch nicht so vor dem Landgericht Rostock. Die Kammer hat durch Wortmeldungen und in Beschlüssen mehrfach sehr deutlich gemacht, dass sie der Argumentation insgesamt folgt, so dass wir keine Entscheidung zugunsten Schubis erwarten können.
Thomas C. hatte sich 2015 an den Landesverfassungsschutz gewandt und dort ausgesagt, dass Schubi die Vorwürfe ihm gegenüber in der Haft gestanden hätte. Dies erscheint nicht nur angesichts von Schubis konsequenter Aussageverweigerung mehr als zweifelhaft. Thomas C. wurde im März 2016 vorzeitig aus der Haft entlassen und war zuvor psychologisch begutachtet worden. Die Sachverständige kam dabei zu dem Schluss, dass C. ein übersteigertes Selbstbewusstsein mit oberflächlichem Charme habe und ein «pathologischer Lügner» sei. Nicht nur, dass die Staatsanwaltschaft den teils wirren und widersprüchlichen Aussagen C.s Glauben schenken will, so wurden am Montag auch weitere Beweisanträge der Verteidigung als unbegründet abgelehnt, die weitere Lügen C.s hätten beweisen sollen. Erneut festigte sich der Eindruck, dass der einzige Belastungszeuge unter keinen Umständen «beschädigt» werden darf.
Verteidigung fordert Freispruch
Schubis Verteidigung forderte einen Freispruch und holte zu einem kritischen Rundumschlag gegen Staatsanwaltschaft und das Gericht aus. Der Anwalt griff die Darstellungen des PTBS-Polizisten erneut an, wonach der Beamte eben nicht vom Stein getroffen auf den Boden geschleudert wurde und dort benommen liegen blieb, bis ein Kollege ihm aufhalf und in Sicherheit brachte: «So werden Geschichten erzählt, die so nicht stattgefunden haben». Er untermauerte seine Zweifel mit (bereits gezeigten) Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, dass sich der BFEler nach dem Treffer selbst auf eine nahe Treppe setzt und wenige Sekunden später ohne Hilfe aufsteht und sich entfernt. Benommen wirkt er nicht, es ist sogar zu erkennen, wie er per Sprechfunk kommuniziert. Diese Unwahrheiten betreffen nicht den Kern der Ereignisse, dass also ein Stein geworfen und den Beamten auch getroffen habe, doch die Darstellungen werden dramatisiert und es stelle sich die Frage nach dem Warum.
Die Darstellungen Thomas C.s seien «absolut unglaubhaft» und teils widersprüchlich. Doch alle Anträge, mit denen C.s Unwahrheiten hätten belegt werden können, hatte das Gericht abgelehnt, «weil sie [die Kammer] meinen, darauf komme es nicht an». Eine Verurteilung auf Grundlage von C.s Angaben sei unzulässig, sagte der Anwalt weiter. Und wenn Schubi schon einige Tatvorwürfe gegenüber C. gestanden haben soll, warum dann nicht alle? Das Gericht müsse sich überlegen, wie es auch die weiteren Taten auf Grundlage von C.s Aussage Schubi zurechnen wolle.
Die Erkenntnisse der Sachverständigen zu Kleidung des Täters und den Körperbau Schubis seinen «eigentlich fast ohne jeden Aussagewert». Kleidung, die der oder die Täter getragen hätten, ist bei Schubi nicht gefunden worden. Bei so ähnlich aussehenden Kleidungsstücken seien keine Spuren zu finden gewesen und es habe sich um preisgünstige Allerweltsmodelle gehandelt. In Richtung Staatsanwaltschaft sagte der Anwalt weiter, man müsse «schon genau hinsehen. So wie sie es darstellen, war es jedenfalls nicht.»
Eskalation nach verunglücktem Polizeieinsatz
Anschließend kritisierte er das polizeiliche Vorgehen, als die Beamten bei den Spielen gegen Leipzig und Dresden den Tribünenumlauf des Stadions gestürmt und «Sprint geräumt» hätten, während gleichzeitig gegnerische Fans die Hansaanhänger hätten angreifen wollen. Erst dadurch seien die Situationen eskaliert und Gegenstände auf die Einsatzkräfte geworfen worden. Der «offensichtlich verunglückte Polizeieinsatz führte mehr und mehr zur Eskalation». Man müsse sich doch fragen, warum solche Ausschreitungen immer dann geschehen, wenn die Polizei so ungeschickt agiere.
Zum Schluss seines Plädoyers griff er das Gericht und Staatsanwaltschaft frontal an und warf beiden vor, Schubi wegen seines Linksseins verfolgt zu haben. «Ich kann nur davor warnen, Jagd auf eine bestimmte Gesinnung zu machen». Die mehr als einjährige U-Haft Schubis war immer wieder mit Fluchtgefahr begründet worden, die wiederum auf seine politische Einstellung zurückgeführt worden war. Auch nach seiner Entlassung, nach der er keine Meldeauflagen etc. bekommen hatte, war er immer zur Verhandlung erschienen: «Sie haben sich geirrt und, objektiv betrachtet, jemanden der Freiheit beraubt». Angesichts eines Richters einer anderen Kammer, dessen Urteil in einem anderen Verfahren jüngst vom BGH wegen krassen Fehlverhaltens kassiert worden war, sprach der Anwalt von einer «Wagenburgmentalität» im Rostocker Landgericht, die jede Selbstkontrolle des Gerichts verhindere. Schubi befürchte, «bei diesem Gericht nicht in den besten Händen zu sein, was eine objektive Betrachtung der Geschehnisse angeht». Die Aufgabe von Gerichten sei es aber, auch polizeiliches Verhalten kritisch zu beleuchten und zurückhaltend zu urteilen. «Ich mache mir keine Illusionen über den Ausgang des Verfahrens, jedenfalls was die Verurteilung angeht». Er forderte einen Freispruch und eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.
Urteilsspruch könnte am Donnerstag erfolgen
Der zweite Verteidiger soll am Donnerstag plädieren. Es ist möglich, dass bereits danach das Urteil gesprochen wird. Wir haben keinen Anlass uns Illusionen hinzugeben, das Gericht würde Schubi nicht wieder in den Knast stecken wollen. Zeigt eure Solidarität und kommt am Donnerstag, den 28.4. um 9:30 Uhr ins Landgericht Rostock!