DHKP-C-Prozess in Stuttgart: Langjährige Haftstrafen gegen vier linke türkische Aktivist*innen

Veröffentlich am 01.08.2015

Göttingen, 28.07.2015

Am heutigen Dienstag endete in Stuttgart der 129b-Prozess gegen vier türkische Linke, denen Mitgliedschaft in der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei – Front) vorgeworfen wird, mit hohen Strafen: Die AktivistInnen wurden als „Kader“ der kriminalisierten linken Organisation eingestuft und zu Haftstrafen zwischen 4 Jahren 9 Monaten
und 6 Jahren verurteilt. Mit diesem Urteil leistet die Justiz der BRD offene Schützenhilfe in dem Krieg, den die Erdogan-Regierung aktuell gegen die linke kurdische und türkische Opposition führt. Dass die Verhältnisse, in denen in der Türkei Linke zu TerroristInnen erklärt werden, völlig von der Staatsraison eines autoritären Regimes abhängt, zeigen die nahezu 1000 Verhaftungen, die es allein in den letzten zwei Wochen in der Türkei gab.

Gegenstand des 129b-Verfahrens in Stuttgart waren ausschließlich vollkommen legale Aktivitäten im politischen und kulturellen Bereich, die im Umfeld von Vereinen wie der ‚Anatolischen Föderation‘ oder der ‚Kunstwerkstatt Köln‘ stattfanden. Die einzelnen „Tatbestände“ lesen sich wie eine Auflistung politischer Alltagsarbeit: Spendensammlungen,
Informationsveranstaltungen, Pressearbeit, der Verkauf von Zeitschriften sowie die Organisierung von politischen Sommercamps und Kulturveranstaltungen. So gehörte die Veranstaltung des Konzerts mit der beliebten linken Band Grup Yorum unter dem Titel „Ein Herz, eine Stimme gegen Rassismus“ am 8. Juni 2013, an dem etwa 12.000 Menschen teilgenommen hatten, zu den Hauptvorwürfen. Obwohl die Großveranstaltung, die ein Zeichen gegen den Terror des Nazi-Netzwerks NSU setzen wollte, mit einem fünfstelligen Minus endete, hatten die Repressionsorgane behauptet, das Konzert habe der Beschaffung von Unterstützungsgeldern für die DHKP-C gedient. Auch die Anmeldung und der Besuch von Kundgebungen – etwa aus Solidarität mit politischen Gefangenen – und die Erstellung von Flugblättern wurden mehrfach genannt.

Bereits im Verlauf des langwierigen Verfahrens, das sich seit dem 2. September 2014 über 61 Prozesstage erstreckte, bewies das Gericht seinen absoluten Verfolgungswillen gegenüber den angeklagten AktivistInnen:
Anträge der VerteidigerInnen wurden standardmäßig abgelehnt, die Öffentlichkeit durch rigorose Kontrollen und Repressalien abgeschreckt. So war bereits am vergangenen Donnerstag ein Prozessbesucher wegen des Rufs „Tod dem Faschismus überall“ umgehend zu zwei Tagen Ordnungshaft verurteilt worden, gegen weitere Anwesende wurden Geldstrafen verhängt.

Mit der heutigen Entscheidung hat die deutsche Justiz erneut ein Gefälligkeitsurteil für den repressiven türkischen Staat gefällt. Indem vollkommen legale politische Arbeit als terroristisch gebrandmarkt und verfolgt wird, zeigt sich wieder einmal die Tragweite des Gummiparagrafen 129b: Alle missliebigen linken Strukturen können durch die Konstruktion einer Verbindung zu einer als „terroristisch“ erklärten Gruppierung kriminalisiert werden, ohne dass irgendwelche realen Straftaten der einzelnen Betroffenen vorliegen.

Die Rote Hilfe e.V. protestiert gegen die Kriminalisierung der türkischen Linken durch die deutsche Justiz und fordert ein sofortiges Ende der Prozesse nach 129b.

H. Lange für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.